Das Magdalena-Vermächtnis: Roman
spiritueller Mentor war, der rätselhafte Lehrer, den sie als Destino kannte? Vielleicht fiel er jetzt, da er wieder in Florenz weilte, in seine alte Gewohnheit zurück, rätselhafte Nachrichten zu schicken und sich überhaupt sehr geheimnisvoll zu geben.
Maureen setzte Wasser auf und holte ihr Handy, drückte die Antwort-Taste und schickte ihrerseits eine SMS .
Danke. Wer sind Sie denn?
Dann nahm sie die Fernbedienung vom Tisch und schaltete den Fernseher an. Es lief eine landesweite Morning Show mit dem üblichen Tratsch über Promis. Maureen ließ sie laufen, während sie Kaffee kochte. Doch unversehens wurde ihre Aufmerksamkeit von einer Klatschmeldung gefesselt: Supermodel und Society Girl Vittoria Buondelmonti würde heute eine Enthüllung machen, die von der Boulevardpresse bereits mit Spannung erwartet wurde. Die italienische Catwalk-Königin war Mutter eines zwei Jahre alten Sohnes, den sie bis jetzt vor der Presse verborgen hatte. Die Vaterschaft des Jungen hatte seit Beginn ihrer Schwangerschaft zu wilden Spekulationen Anlass gegeben, doch Vittoria hatte sich standhaft geweigert, den Vater zu nennen. Vor der Geburt ihres Sohnes war sie mit mehreren prominenten Männern liiert gewesen, und die Klatschgazetten hatten endlos über den möglichen Vater des Kindes gerätselt, während sie Fotos von Vittoria und ihren Lovern veröffentlichten: ein internationaler Fußballstar, eine Rock-’n’-Roll-Ikone, ein Rennfahrer, ein griechischer Milliardär, ein Öl-Tycoon und Vittorias Florentiner Jugendliebe.
Morgen würde Vittoria Buondelmonti vor der internationalen Presse die Identität des Kindesvaters enthüllen. Warum sie beschlossen hatte, dies zum gegenwärtigen Zeitpunkt zu tun, war unklar. Maureen zappte durch sämtliche Kanäle und stieß überall auf Vittoria und ihr Kind. Mit einem genervten Stöhnen schaltete sie den Fernseher aus.
Doch dann vergaß sie Vittorias Kindsvater-Drama völlig, als die nächste Nachricht auf dem Display ihres Handys erschien.
Ich bin mit Destino befreundet. Und mit Berenger. Ich sehe Sie heute Abend.
»Mehr merkwürdig und am meisten merkwürdig!«, rief Maureen aus. Sie hatte in letzter Zeit oft Lewis Carroll zitiert, denn auch ihr war zumute, als wäre sie in ein Kaninchenloch gefallen, aus dem sie vielleicht nie wieder in die Wirklichkeit auftauchenwürde. Die Wirklichkeit, so schien es, gehörte unwiderruflich der Vergangenheit an. Maureen war nicht sicher, ob sie sich jemals an die surreale Wendung gewöhnen würde, die ihr Leben genommen hatte.
Maureens Reise hatte vor ein paar Jahren begonnen, als sie Berenger Sinclair kennenlernte, der sie auf seinem Landsitz in Südwestfrankreich in die Welt der Häresie und Geheimgesellschaften einführte. Maureens Leben war vollends aus den Fugen geraten, als sie in dem französischen Städtchen Arques eine antike Handschrift entdeckt hatte: ein sagenhaftes Evangelium, von Maria Magdalena selbst verfasst. Viele hatten diese Schrift fast zweitausend Jahre lang gesucht und waren überzeugt, dass es Maureens Bestimmung gewesen sei, sie zu finden. In dieser Welt des verborgenen Christentums, die sich Maureen allmählich enthüllte, gab es eine Reihe von Prophezeiungen, die über zahllose Generationen hinweg weitergegeben worden waren. Die Prophezeiung der Verheißenen kündete von einer Frau, die die wahre Lehre Jesu und seiner Nachfolger wiederentdecken und der Welt mitteilen werde, sobald die Zeit gekommen sei.
Maureen war die Verheißene.
Dieses neue Leben war berauschend, elektrisierend und allzu oft auch gefährlich. Die Entdeckung der als Arques-Evangelium bezeichneten Schriftrollen hatte dazu geführt, dass Maureen ihren ersten internationalen Bestseller über das Vermächtnis der Maria Magdalena schrieb. Im Arques-Evangelium stand, Magdalena sei rechtmäßig mit Jesus verheiratet gewesen und Mutter seiner Kinder. Doch die vielleicht wichtigste Enthüllung war die Betonung des spirituellen Erbes Jesu. Das Evangelium von Arques behauptete, Maria Magdalena sei die auserwählte Nachfolgerin Jesu, seine liebste Apostelin, der er seine heiligste Lehre anvertraut habe. Und vor seinem Tod am Kreuz habe Jesus ihr auch sein eigenes Evangelium anvertraut, das Buch der Liebe.
Dass Jesus selbst ein Evangelium verfasst hatte, war die problematischste Entdeckung, die Maureen jemals gelungen war. Wiekonnte Jesus ein Buch geschrieben haben, in dem er seine Lehren für die Nachwelt bewahrte, ohne dass man je davon gehört
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