Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Magdalena-Vermächtnis: Roman

Das Magdalena-Vermächtnis: Roman

Titel: Das Magdalena-Vermächtnis: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen McGowan
Vom Netzwerk:
Lorenzo hielt die Taube, während Lucrezia mit großen Augen zuschaute.
    »Ich werde die Taube hierbehalten. Allerdings muss sie gefüttert werden«, sagte Ficino und gab vor, ein wenig ungehalten zu sein. »Ich selbst habe keine Zeit, um den Taubenpfleger zu spielen, also müsst ihr beide dafür sorgen, dass das Tierchen Futter bekommt.«
    Lorenzo warf Lucrezia einen Blick zu. Sie nickte feierlich. »Ich komme jeden Tag, wann immer ich kann.« Ihr Vater hielt sich den Tag über in der Stadt auf, und die Mutter war ihrer temperamentvollen Tochter gegenüber nachsichtig, wenn sie auf dem Lande weilten. An den meisten Tagen durfte Lucrezia kommen und gehen, wann sie wollte, solange sie ihrer Familie keine Sorgen bereitete.
    »Ich komme ebenfalls«, versprach Lorenzo. »Ich hole Lucrezia an der Grenze der Donati-Ländereien ab und bringe sie auf Morello her.«
    Ficino nickte zufrieden. »Schön. Und nun fort mit euch, dieser alte Mann hat zu arbeiten. Ich übersetze einen wichtigen Textfür deinen Großvater, dessen legendäre Ungeduld unter seiner Krankheit nicht gelitten hat. Versucht, wenigstens heute keinen Unsinn mehr zu machen, ihr zwei!«
    Lorenzo nahm Lucrezias Arm und führte sie zur Tür. »Hier entlang«, flüsterte er.
    »Wohin gehen wir?«
    »Du wirst schon sehen.«
    Er führte das Mädchen einen gewundenen, überwachsenen Pfad entlang und wischte Zweige beiseite, die ihnen den Weg versperrten. Lorenzo hätte sein Ziel mit verbundenen Augen finden können. Dies war ihm der liebste Ort auf der Welt, und so würde es sein Leben lang bleiben. Sie umrundeten eine letzte Biegung; dann führte Lorenzo das Mädchen durch eine Maueröffnung.
    »Was ist das für ein Ort?«
    Sie standen am Rand eines großen, kreisförmig angelegten Gartens, der von einer Mauer umschlossen wurde. In der Mitte, umgeben von wilden Blumenranken, stand ein griechisch anmutender Tempel mit einer Kuppel. In dieser Kuppel wiederum stand die Statue eines Amors auf einer Säule. Eine Tafel auf der Säule trug das Motto: Amor vincit omnia.
    »›Liebe besiegt alles‹«, übersetzte Lorenzo. »Das ist von Vergil. Und der Tempel wurde von dem großen Alberti erbaut.«
    »Aber er ist heidnisch!«, rief Lucrezia erschrocken.
    »Ach ja?« Lorenzo grinste. »Komm mal her.«
    Er führte sie auf eine Seite des Gartens, wo ein steinerner Altar errichtet worden war. Dieser Altar bildete den Sockel für eine überwältigende Kreuzigungsszene aus Marmor.
    »Von der Hand unseres Meisters Verrocchio. Findest du das auch heidnisch?«
    »Er ist wunderschön.« Lucrezia war von Ehrfurcht ergriffen. »Aber … ich verstehe es nicht.«
    Lorenzo lächelte sie an. Es war streng verboten, eine Person in diesen Garten zu bringen, die nicht in die Lehren des Ordenseingeweiht war. Aber Lorenzo wollte diesen magischen Ort mit Lucrezia teilen. Er wusste, dass auch sie diesen Garten lieben würde, dass sie auf gewisse Weise sogar hierher gehörte. Er hatte es in dem Augenblick gewusst, als er sie zum ersten Mal gesehen hatte. Sie gehörte an jeden Ort, den er liebte.
    »Ficino lehrt, dass die Weisheit der Alten und die Lehren unseres Herrn Jesus friedlich nebeneinander existieren können und sollten. Er sagt, alles göttliche Wissen stammt aus ein und derselben Quelle und soll gleichrangig angebetet werden, damit wir bessere Menschen werden. Anthropos. Das ist griechisch und bedeutet, ein vollendeter Mensch zu sein – das Gleiche wie humanitas im Lateinischen. Mein Großvater hat sein Leben diesem Wissen geweiht. Ich hoffe, ich kann das eines Tages auch.«
    Lucrezia kicherte. » Mein Großvater würde das Ketzerei nennen.«
    » Mein Großvater nennt es Harmonie. Ich gehe oft in diesen heiligen Garten, um zu beten. Deshalb habe ich dich hergebracht … damit wir für die Taube beten.«
    Lucrezia bewunderte die Marmorskulptur. Mit den Fingern strich sie über den Marmorsockel, dann am Kreuz hinauf, so hoch sie greifen konnte. Sie wollte etwas sagen, doch plötzlich überkam sie Schüchternheit. Lorenzo, der von diesem Moment an für den Rest seines Lebens in der Lage war, jede ihrer Stimmungen aufzufangen, fragte sofort: »Was ist?«
    Lucrezia schaute in das Antlitz Jesu, das von einem genialen Bildhauer geschaffen worden war. »Ich habe davon geträumt«, flüsterte sie.
    »Wovon?«
    »Von der Kreuzigung. Ich habe sie gesehen, als wäre ich dabei gewesen. Es regnete, und ich habe durch den Regen geblickt und gesehen, wie es geschah. Ich kann mich erinnern, dreimal davon

Weitere Kostenlose Bücher