Das Magdalena-Vermächtnis: Roman
mir klar, dass sie keine ungebildete Sklavin war. Sie besaß Geist und Temperament, wie ich es noch bei keiner Frau erlebt hatte. Schalk blitzte aus ihren Augen – und eine Weisheit, die ihrem Alter und ihrer Herkunft weit voraus war.
Ich verbrachte eine Woche bei meinem Geschäftspartner, fand später aber immer neue Gründe, um wieder und wieder dort einzukehren. Erst nach Monaten begriff ich, warum: Ich hatte mich hoffnungslos verliebt. Schlimmer noch, ich begriff, dass diese Frau mein ›Seelenzwilling‹ war, wie es im Orden genannt und im Buch der Liebe gelehrt wurde. Aber wie konnte das sein? Und warum? Und dann begriff ich, dass es darauf gar nicht ankam. Gott hattemeine Gefährtin an diesen Ort gebracht, ich hatte sie gefunden, und nun lag es an mir zu entscheiden, ob ich mit ihr zusammen sein wollte oder nicht. Doch die geltenden Gesetze – die vornehme Gesinnung, die Heiratspolitik – untersagten es mir. Denn ich war mit Contessina verheiratet. Ich hatte Kinder. Ich war Cosimo de’ Medici.«
Er hielt inne, damit Lorenzo diese gewaltige Offenbarung verkraften konnte. Dann fuhr er fort: »Doch was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht trennen. Deshalb kaufte ich der Luccheser Familie meine Sklavin für das Dreifache ihres Marktwertes ab, schenkte ihr ein Haus in Fiesole und brachte sie dorthin. Und dort lebt sie, als meine Mätresse, bis auf den heutigen Tag. Ich wollte sie nicht bei ihrem Sklavennamen nennen und rief sie Maria Magdalena, weil sie meine Königin der Barmherzigkeit war. Immer wenn die Zänkereien in Florenz zu schlimm wurden, konnte ich zu meiner Magdalena fliehen und bei ihr Trost finden.
Es ist mir sehr schwergefallen, ihr den kleinen Carlo wegzunehmen, denn sie wollte unseren Sohn selbst großziehen. Doch sie wollte auch das Beste für ihn – und dass er in meiner Familie aufwuchs, war das größte Geschenk, das sie ihm als Mutter machen konnte. Deshalb, Lorenzo, kennen meine Magdalena und ich großen Schmerz und große Trauer. Aber ich würde die kostbaren Augenblicke mit ihr für nichts auf der Welt tauschen wollen. Sie ist meine Muse und meine große Liebe. Und eines Tages, wenn die Zeit wiederkehrt, werden wir auf andere Weise vereint sein – wenn es Gottes Wille ist und wenn es unserer Mission dient.«
Lorenzo war einen Moment sprachlos. Nachdenklich nagte er an seiner Unterlippe, während er über Cosimos Enthüllungen nachdachte. Dann fragte er ohne Umschweife: »Was würdet Ihr an meiner Stelle tun, Großvater?«
Cosimo antwortete ohne Zögern: »Ich würde ihr einen Ehemann suchen.«
»Was?« Lorenzo rief es beinahe.
Cosimo blickte ihn verärgert an. »Hör auf, wie ein kleiner Junge zu denken, dem man das Herz gebrochen hat! Denke wie ein Fürst! Du musst deinen Feind übertrumpfen und immer ein Jahr vorausplanen – oder zwei oder fünf, falls nötig. Die Donati werden dir nicht mehr erlauben, ihre Tochter zu sehen. Solange sie unter der Herrschaft ihres Vaters steht, darf er ihr jeden Schritt vorschreiben, den sie tut. So ist es nun mal. Und wie ändert man das? Indem man die Verhältnisse ändert, sodass sie einem zugute kommen! Sobald Colombina verheiratet ist, verliert ihr Vater die Macht über sie. Eine florentinische Dame, zumal aus dem Geschlecht der Donati, kann selbst entscheiden, wie sie ihre Zeit verbringt. Zwar wird sie nicht mehr mit dir im Wald von Careggi herumtollen können, aber sie könnte sich durchaus mit der edlen Familie Gianfigliazza anfreunden. Denn die liebliche Ginevra stellt ständig Wohltätigkeitsfeste auf die Beine, und das wäre ein passender Zeitvertreib für eine junge, wohlhabend verheiratete Frau wie Lucrezia Donati. Sie müsste dann viel Zeit in der Antica Torre in Santa Trinità verbringen. Verstehst du, was ich damit sagen will, mein Junge?«
Lorenzo nickte. Es gefiel ihm zwar nicht, aber allmählich verstand er. Von Tag zu Tag lernte er mehr wie ein Medici zu denken und zu handeln.
An diesem Abend kam er heim und schrieb ein Gedicht, in dem er seinen Schmerz mittels der Dichtkunst bezwingen wollte. Er verfasste die ersten Zeilen eines Liedes, das später eines seiner bekanntesten Werke werden sollte, den »Triumph des Bacchus und der Ariadne«.
Wie schön ist die Jugend,
die so schnell entflieht!
Sei ausgelassen, wenn es dir gefällt,
denn was morgen kommt, ist ungewiss.
Cosimo kränkelte schon lange. Die Gicht, der Fluch der mediceischen Männer, hatte nun auch bei ihm ihren Tribut gefordert. Während des
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