Das Magdalena-Vermächtnis: Roman
Aphrodite vergewaltigte und mit Poseidon kämpfte!«
Wieder brachen die Männer in raues Gelächter aus, aber Niccolò wurde von dem Zwischenruf nur noch mehr ermutigt.
»Noch eine Runde für alle! Und für unser Fässchen hier ein großes Fass! Er ist viel zu ernst!«
Sandro wandte sich zum Tisch der Medici-Brüder um, die angesichts seiner Not grinsten. Wütend funkelte er Lorenzo an und verdrehte die Augen, bevor er seine Bestellung ausrichtete. »Niccolò, da drüben sitzt ein Freund, der gern Näheres über deine Abenteuer hören möchte.«
»Na, dann ruf ihn doch her!«
»Ich glaube, es wäre ihm lieber, du kämst zu ihm.«
Niccolò erhob Einspruch und plusterte sich auf wie eine überfütterte Taube auf dem Markt, während er sich umdrehte und Sandros Tischgenossen musterte. Als er ihn erkannte, ließ er ein wenig Luft ab.
»Ah, ich verstehe. Sind sich die Medici-Brüder zu fein, um zu mir und meinen Freunden zu kommen?«
Bevor Sandro zum Tisch zurückging, raunte er dem Prahlhans leise die gebührende Antwort zu: »Ja. Das sind sie tatsächlich.«
Niccolò Ardinghelli war ein Aufschneider und Angeber, aber selbst mit zu viel Wein im Blut kein Dummkopf. Er war Florentiner und erkannte einen Befehl, wenn er einen erhielt. Deshalb entschuldigte er sich bei seinen Freunden an der Theke und näherte sich dem Tisch, an dem die Medici Hof hielten.
Sandro stellte sie einander vor, dann erhob sich Lorenzo und begrüßte Niccolò freundlich. Er schüttelte ihm die Rechte und fasste gleichzeitig mit der Linken die Schulter des Mannes, während er Niccolò fest in die Augen sah. Das war ein diplomatischer Trick, den Lorenzo von Cosimo gelernt hatte. »Verknüpfe beide Hände mit dem anderen, wenn ihr euch kennenlernt, und konzentriere dich auf dein Gegenüber«, hatte der Großvater ihn gelehrt. »Schau ihm fest in die Augen und gib ihm das Gefühl, dass jedes seiner Worte wichtig für dich ist, als wäre er in diesem Moment der einzige bedeutende Mann in der Stadt. Und sprich ihn stets mit Namen an. Es kostet kaum Mühe, aber viele unterlassen es, und dabei gewinnt einem diese Gewohnheit in wenigen Sekunden die Ergebenheit eines Mannes.«
Lorenzo hatte diesen Rat stets beherzigt. Für ihn als Humanisten war nichts Falsches daran. Stets wandte er einem Gesprächspartner die volle Aufmerksamkeit zu, als wären sie die wichtigsten Menschen der Stadt. Dieses Verhalten brachte Lorenzo unbedingte Ergebenheit ein; obendrein erfuhr er grundlegende Wahrheiten über die menschliche Natur. Wie ein Chamäleon auf den sonnenbeschienenen Felsen der toskanischen Hügel konnte er seine Farbe entsprechend seiner Umgebung verändern. Unter Gelehrten und Dichtern war er ebenfalls gelehrt und dichtete; unter Botschaftern wurde er zum Politiker; unter Künstlern zu deren Bruder in den Künsten. Wenn nötig, konnte er sogar die schlimmsten Halunken übertreffen, indem er von einem Augenblick zum anderen so liederlich wurde wie sie. So kam es, dass Florentiner Männer aller Gesellschaftsschichten sich in LorenzosGesellschaft wohlfühlten. Dies war einer der Gründe, warum er bereits in jungen Jahren »der Prächtige« genannt wurde.
»Ardinghelli. Ein ehrwürdiger Name, mein Freund. Ihr seid also gewissermaßen von Adel.«
»Aus einer der ältesten und bedeutendsten Familien der Toskana. Es ehrt mich, dass Ihr dies erkennt.«
»Die Ehre ist ganz auf meiner Seite, Niccolò. Aber sagt mir … Wollt Ihr für immer das Leben eines Abenteurers führen? Denn es klingt großartig. Bitte, erzählt uns mehr darüber. Ich kann es gar nicht erwarten, Eure wundervollen Geschichten zu hören.«
Sandro versetzte Lorenzo unter dem Tisch einen Tritt. Giuliano unterdrückte ein Lachen und vertuschte es, indem er sein Glas umstieß. Doch Niccolò war dermaßen begeistert, ein neues Publikum zu haben, dass er nichts davon bemerkte. Lorenzo blieb ganz auf seine Beute konzentriert und lächelte wohlwollend.
»Für einen richtigen Mann gibt es kein besseres Leben!«
Niccolò spann sein gewaltiges Seemannsgarn weiter, bis Lorenzo – ganz Herr des Gesprächs – eine weitere Frage stellte: »Ihr seid doch von edlem Geblüt. Wie kommt’s, Freund, dass Euer Vater nicht darauf besteht, dass Ihr heiratet und den Familiennamen weitergebt?«
»Ach, heiraten …« Niccolò verzog das Gesicht und begleitete seine Worte mit einer abfälligen Geste. »Ich habe überhaupt kein Interesse daran. Aber Ihr habt natürlich recht. Es ist unsere edle Pflicht.
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