Das magische Land 1 - Der Orden der Rose
entzogen sie sich noch immer der menschlichen Auffassungsgabe. Sie würde jene Gesichter, die an Marmorbüsten erinnerten, und jene unergründlichen Augen niemals vergessen. Von all den seltsamen Dingen in diesem merkwürdigen Land waren sie bis jetzt das Seltsamste; dennoch fand sie in ihnen einen Punkt, auf den sie sich konzentrieren konnte. Sie waren nicht böse, nicht mehr als die Sterne es waren. Sie waren so sehr ein Teil der Welt wie jedes andere Wesen unter dem Mond.
Sie hatte das Gefühl, als hätte die Welt sich verschoben, und ihr war, als wäre der Boden unter ihren Füßen fester geworden. Was genau sie verstanden hatte, dessen war sie sich noch nicht sicher. Das brauchte Zeit und Alleinsein, weder das eine noch das andere war ihr vergönnt. Sie konnte warten. Die aufgetürmten Steine waren jetzt direkt vor ihnen, gekrönt von Sternen. Die Steine waren lebendig. Sie wurzelten in der Erde und zogen Magie aus dem Boden, so wie Bäume dort ihre Nährstoffe aufnahmen. Ihre Gedanken waren tiefer und unendlich viel langsamer als die Gedanken der Bäume. Neben diesen unvorstellbar altertümlichen Mächten waren die alten Götter so luftig wie das Wildvolk, das sich um Gereint scharte. Averil verbeugte sich bis zum Boden.
Die Steine waren weit davon entfernt, menschliche Würdigung zu registrieren. Dennoch musste sie es tun. Es war eine Sache der Ehre.
Der Fremde führte sie durch ein Steinpaar unter einem Sturz, der sich dreimal so hoch wie Gereint über ihren Köpfen erhob: Es war ein weiteres Tor und eine weitere Welt innerhalb der Welt — ein Kreis von sternenbeschienenem Gras, das bewacht wurde von den ältesten aller Dinge.
Sein Zentrum war wiederum ein Stein, jedoch niedrig und gedrungen, kaum aus dem Gras hervortretend. Zuerst schien er formlos, aber als sie näher kamen, erkannte Averil, dass er einen Kopf hatte, der halslos auf abfallenden Schultern saß, sowie gewaltige Hüften und Brüste, die über einem riesigen, runden Bauch hingen.
Das Wesen hatte rudimentäre Gesichtszüge: gerade Nasenlinie, Augenhöhlen. Einen Mund konnte sie nicht erkennen. Es hatte nichts Menschliches an sich, und dennoch war es auf grobe, machtvolle Weise weiblich.
Der Fremde verbeugte sich bis zum Boden vor ihm — vor IHR. »Mutter«, sagte er. Nur dieses eine Wort, aber das war alles, was er sagen musste.
Averil verbeugte sich auf dieselbe Weise wie der Fremde und nahm verschwommen war, dass Gereint es ihnen gleichtat. Die Mutter bewegte sich nicht, aber die Kraft ihrer Aufmerksamkeit war wie ein Windstoß. SIE war in Averils Innerem, in den abgründigsten Tiefen ihres Herzens War SIE schon immer dort gewesen? Averil hatte noch nie so tief in sich hineingehorcht.
Dies war die Quelle aller Magie - ob wild oder gezähmt, ob mit oder ohne Ordnung. Aus diesem tiefen Quell kam alles. Und Averil war ein Teil davon. Sie war die Mutter; die Mutter war in ihr.
Zweitausend Jahre der Ordnung und Ausbildung waren nur ein Lidschlag für das Auge der Mutter. Lange vor den Priesterinnen und Paladinen war SIE schon da gewesen. Lange nachdem sie alle fort waren, würde SIE bleiben. Averil gehörte IHR, wie alle Wesen IHR gehörten — weibliche sogar noch mehr als männliche. Aus IHR waren sie alle gekommen.
Gereint wusste es. Sein Wissen war hell und vollkommen in ihrem Inneren. Er fand es beglückend.
Averil war nicht sicher, was sie davon hielt. Es war zutiefst und unbestreitbar heidnisch. Und dennoch war es auch wahr.
Das Dogma der Priester, ihr bärtiger Gott und sein kriegerischer Sohn hatten nicht mehr Kraft — und nicht weniger — als jeder andere Glaube an geringere Götter. Averil hatte sie außen in ihren Reihen gesehen. Sie standen Wache über der Mutter, von der sie alle abstammten. Sie waren Götter fürwahr; ihre Mächte hatten die Herzen der Sterblichen auf ähnliche Weise gelenkt wie die Macht des guten Gottes in diesem Zeitalter der Welt. Aber SIE würde noch da sein, lange nachdem der gute Gott ebenso vergessen war wie die Götter von Hellas oder Romagna.
Dies war Ketzerei und zugleich die Wahrheit. Aber Averil hatte dennoch eine Frage, und sie wagte, sie zu stellen.
»Warum?«
Die Mutter sprach nicht. Worte waren zu kraftlos, um die Gedanken innerhalb dieses Geistes zu fassen. Selbst eine Vision konnte sie kaum ausdrücken. Die Antwort kam in Form von tiefem Verstehen. Es gab keine größere Macht als die Mutter, aber SIE war die Erde, und die Erde war nicht unverwundbar. Einige der Kräfte, die aus
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