Das magische Land 1 - Der Orden der Rose
weder breiter noch weicher war als das, in dem Gereint in der Nacht zuvor geschlafen hatte. Gereint erkannte ihn nicht so sehr an seinen Portraits, sondern an der Art, in der Bernardin ihn anschaute — voller Liebe und Verehrung und mit stark unterdrückter Verzweiflung.
Gereint fragte sich, ob er sich verbeugen oder niederknien sollte, aber der Landvogt tat nichts dergleichen, und der Herzog hätte von beidem nichts bemerkt. Gereint folgte Bernardin, bis sie beide neben dem Bett standen. Das Bett war zwar äußerst einfach, aber die Bettdecke war reich verziert und eigentümlich. Sie war mit einem Muster aus schimmernden Schuppen gewebt oder bestickt. Sie schien sich zu bewegen, obwohl der Herzog kaum atmete. Sie hob und senkte sich, als wäre sie lebendig.
Er öffnete den Mund, um danach zu fragen, aber Bernardin sprach als Erster. »Dies ist dein Gebieter und Lehnsherr«, sagte er. »Du schuldest auf immer dem Orden Gehorsam, aber da der Orden in Quitaine steht, ist er der Landesherr, dem wir die Lehenstreue schulden.«
»Nicht dem König?«, fragte Gereint.
»Der König ist kein Freund von uns«, antwortete Bernardin.
»Aber —«, begann Gereint und verstummte. Dies waren Angelegenheiten von höchster Bedeutung, die weit über sein Ermessen hinausgingen, wie seine Mutter sagen würde. Er beschloss, keine Einwände zu machen, den Mund zu halten und zuzuhören.
Und die ganze Zeit, während er sich darauf konzentrierte, Gehorsam zu leisten, zitterte und schimmerte die Decke des Herzogs, und je länger er sie anschaute, desto lebendiger schien sie zu werden.
Kapitel 16
Am Ende eines langen Tages im Dienste des Landvogts, hätte Gereint sich liebend gern ins Bett fallen lassen. Aber in der Bibliothek im weißen Turm warteten Bücher auf ihn.
Riquier hatte ihm eine Grammatik der helladischen Sprache gegeben und eine Reihe von Buchstaben aufgeschrieben, die sich von denen, die Gereint kannte, deutlich unterschieden. Morgen würde der Unterricht beginnen, hatte der Knappe gesagt.
Gereint dachte sehnsüchtig an sein Bett, aber er fand es schwer, einem neuen Buch zu widerstehen. Er kopierte die fremdartigen Buchstaben auf ein Stück Pergament, bis Hand, Auge und Geist sie im Gedächtnis behielten. Dann schlug er die Grammatik auf und las in ihr im trüben Licht der Öllampe, die er mitgebracht hatte.
An der Tür waren Schritte zu hören. In der abendlichen Stille klangen sie unnatürlich laut.
Es war eine Frau im Gewand einer Dienerin, schwer beladen mit Büchern. Sie legte sie auf einen Tisch in der Nähe der Tür — mit einer gewissen Ehrfurcht, was Gereint verriet, dass sie wissen musste, wie man sie las. Dann berührte sie die Glaskugel, die sich auf einem Sockel am Ende des Tisches befand. Der leichte Schimmer der Kugel schwoll zu einem klaren weißen Licht an. Gereint zog die Brauen hoch. Man musste ein feines Händchen für Magie haben, um das zu können. Seine Brauen krausten sich noch mehr, als sie ihr Tuch aufknotete und ihr Haar offen fallen ließ. Er erkannte den goldenen Kupferton dieser Haarmähne und auch das fein geschnittene Gesicht mit den goldfarbenen Sommersprossen auf der Nase. Und jetzt nahmen seine Augen auch den Körper unter dem Kittel wahr: hochgewachsen und anmutig mit ausgesprochen lieblichen Rundungen. Anscheinend war seine Bekannte aus dem herzoglichen Stall nicht nur Stallmagd sondern auch Studentin. Entweder bemerkte sie ihn tatsächlich nicht, oder sie hatte ihn nicht wiedererkannt. Er wusste, dass er etwas sagen sollte, aber Schüchternheit lähmte seine Zunge. Er senkte den Kopf und versuchte, sich auf das Buch zu konzentrieren, das vor ihm lag. Es wäre ihm beinahe gelungen, als ein Schatten auf die Seite fiel. Er schaute auf in ihr Gesicht. Sie lächelte noch nicht recht. »Du studierst Helladisch?«, fragte sie.
Er schluckte und blinzelte, bevor er genug Verstand aufbrachte zu nicken. »Fange morgen an. Versuche, mir selbst auf die Sprünge zu helfen.« »Funktioniert das?«
»Ich lasse es dich wissen.«
Sie saß ihm gegenüber. Ihr Lächeln trat ein wenig deutlicher zu Tage. »Ich erinnere mich an dich. Du hast dich um die Pferde gekümmert auf dem Weg von Morency. Du bist Postulant? Kein Novize?«
Gereint zuckte mit den Schultern. Es überraschte ihn ein wenig, dass er weder beschämt noch verärgert war. Ihre Fragen waren aufrichtig und beinhalteten keinerlei Wertung. »Du weißt doch, was man sagt. Besser spät als nie.« Sie lachte. Es war ansteckend, und er
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