Das magische Land 1 - Der Orden der Rose
ertappte sich dabei, dass er anfing zu grinsen. »Ja, das sagt man so!«, erwiderte sie. »Messire Bernardin hält viel von dir. Ich habe gehört, wie er zu einem seiner Knappen sagte, dass er dich für geeignet hält.«
»Diener bekommen alles mit«, stellte Gereint fest.
»In meinem Beruf lernt man, sich unsichtbar zu machen«, sagte sie. »Ich kenne deinen Namen. Ich hörte, wie Bernardin ihn nannte. Gereint, nicht wahr?«
Er nickte.
»Mein Name ist Averil«, sagte sie.
»Averil«, wiederholte Gereint und ließ den Namen auf der Zunge zergehen. Er streckte ihr die Hand entgegen. Sie ergriff sie mit starken, schwieligen Fingern. Ihr Händedruck war so kräftig wie der eines Mannes. Es war nicht einfach zu denken, während sie dicht neben ihm saß, da sie so ausgesprochen weiblich war, aber dieser kräftige Händedruck half ihm, sich zu konzentrieren. Einen Augenblick später stellte er fest, dass er sich mit ihr unterhalten konnte, fast so, als wäre sie einer der Ritter. »Hast du die Gelübde eines Ordens abgelegt?«, fragte er sie. »Ich wurde auf der Insel erzogen«, sagte sie ohne jeglichen Hinweis darauf, dass sie seine Verwirrung teilte. »Ich ging jedoch fort, ohne die Gelübde abzulegen. Seitdem versuche ich, meine Studien fortzuführen.« »Dann bist du mir also weit voraus«, sagte Gereint. »Ich beherrsche das Ausmisten von Ställen und das Pflügen von Feldern, aber die feineren Künste sind mir weitgehend fremd.«
»Auch ich kann Ställe ausmisten und Felder pflügen«, sagte sie. »Wenn du beim Erforschen der feineren Künste gern Gesellschaft hättest, ich bin an den meisten Abenden hier.«
Gereint errötete. Seine hart erkämpfte Fassung war dahin. »Oh! Oh, nein. Ich wäre dir nur im Weg. Ich weiß wirklich gar nichts.«
»Wir lernen durch lehren«, sagte sie, ohne sich abschrecken zu lassen. Ihre Worte klangen fast ein wenig förmlich. Das brachte ihn wieder auf den Boden der Tatsachen, und er sah sie stirnrunzelnd an. »Hat jemand dich hierzu beauftragt? Sollst du Riquier ein bisschen Arbeit abnehmen? Nicht, dass ich etwas dagegen hätte«, fügte er hastig hinzu, »aber du musst mir nichts vormachen. Ich weiß, was für ein Dummkopf ich bin.«
»Ich mache dir nichts vor«, sagte sie. »Und ich kenne keinen Ritter namens Riquier, obwohl ich ein paar Cousins mit diesem Namen habe. Was deine Unwissenheit angeht, so müssen wir alle irgendwo anfangen. Hier zum Beispiel.« Sie zog sein Buch auf ihre Seite des Tisches und tippte auf die aufgeschlagene Seite. »Würdest du nicht lieber zu zweit lernen statt allein?« »Ich weiß nicht«, erwiderte er.
»Dann ist das die erste Sache, die du lernen wirst.« Sie gab ihm sein Buch zurück. »Dann also bis morgen?«
Er wollte Ausflüchte machen und nichts versprechen und auf diese Weise entkommen, aber ihr Blick war so klar und offen, dass er sagte: »Morgen. Es sei denn —«
»Morgen«, sagte sie lächelnd, aber bestimmt.
Averil wusste nicht, warum sie das gesagt hatte. Sie war einsam, daran gab es keinen Zweifel; und er war es ebenfalls, groß und ungelenk, wie er war, mit so viel Magie in sich, dass er kaum dazu im Stande sein konnte, sie zu beherrschen. Ein Teil von ihr wollte sich sträuben wie eine Katze. Der Rest wollte ihn lehren, Kontrolle über sich zu erlangen, und sei es nur für ihren eigenen Seelenfrieden.
Es war eine Ablenkung, die sie brauchte. Obwohl die Heerscharen von Magiern ihr Bestes taten, versank ihr Vater tiefer und tiefer in seinem dunklen Traum. Am Morgen hatten die Heiler von Sankt Raphael geglaubt, dass sie das Gift bezwungen hatten, aber nachdem der Zauber vollendet war, schlug das Gift erneut mit voller Kraft zu.
Averil war noch nicht bereit, sich in Verzweiflung zu stürzen. Noch nicht. Aber alle üblichen Heilmittel hatten versagt. Sie brauchte etwas Ungewöhnliches, etwas, an das sie bislang noch nicht gedacht hatte.
Vielleicht half es, wenn sie eine Nacht darüber schlief. Die Nacht mochte eine Antwort bringen — oder der Morgen. Irgendwo gab es Hilfe für ihren Vater. Nach dem ersten Tag hielt sich Gereint viel weniger im Arbeitszimmer des Landvogts auf und verbrachte viel mehr Zeit damit, durch die Gänge des Palastes und die Straßen der Stadt zu laufen. Der Zauber des Wissens, den Riquier bei ihm angewandt hatte, war tief in ihm verwurzelt und ließ neue Triebe wachsen, die blühten und Früchte trugen: eine tiefe Wahrnehmung der Stadt und ihrer Bewohner, des Landes, in dem sie lag, und der Mächte,
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