Das magische Land 1 - Der Orden der Rose
waren. Er würde Averil am Abend danach fragen. Sie wusste auf all seine Fragen eine Antwort, oder zumindest, wo eine zu finden war. Bis dahin wollte er seine Zeit dazu nutzen, sich die Unterrichtsstunden mit Riquier ins Gedächtnis zu rufen. Er richtete seine Konzentration auf den Unterrichtsstoff, während Bernardin schlummerte und der Herzog in den Armen des Todes versank. »Gibt es einen Grund dafür, warum der Herzog unter einer Drachenhaut liegt?«, fragte Gereint.
Averil runzelte die Stirn. Sie hatte ein Buch über Theologie gelesen, während er über die Tücken der helladischen Grammatik fluchte. Seine Frage war das Ergebnis stundenlangen Nachsinnens, aber ihr erschien sie vollkommen aus der Luft gegriffen.
»Eine Drachenhaut?«, fragte sie. »Was meinst du damit?«
»Seine Bettdecke«, erwiderte Gereint. »Sie ist außergewöhnlich. Noch nie habe ich etwas Ähnliches gesehen oder auch nur davon gehört.«
Ihre Stirnfalten vertieften sich. »Wieso? Was hast du denn gesehen?« »Das Muster muss aufgestickt sein«, sagte er. »All diese Schuppen, sie schimmern, als wären sie lebendig. Es muss Magie in dieser Arbeit liegen, oder eine solche Kunstfertigkeit, dass es genauso gut Magie sein könnte.« Sie erhob sich, dann langte sie über den Tisch und zog ihn hoch. »Zeig es mir«, sagte sie.
Er blinzelte verdutzt. Sie zog ihn hinter sich her aus der Bibliothek. Im Lampenschein war die Decke des Herzogs sogar noch wundersamer als bei Tageslicht. Die Schuppen waren schillernd, mit einem Schimmer, dem Gereint nicht widerstehen konnte. Er streckte die Hand aus, um eine davon zu berühren.
Sein Finger sank durch die Schuppe hindurch in etwas so Vertrautes, dass er es zunächst nicht einordnen konnte. Dann erkannte sein träges Gehirn die kratzige Oberfläche eines grobgewebten Wollstoffs.
Er starrte auf seine Hand, die zwischen glitzernden Schuppen versank. »Was —«
»Sag mir genau, was du siehst«, befahl Averil.
Ihre Stimme war sanft und mochte ruhig wirken, aber sie hatte einen metallischen Unterton. Er antwortete, so gut er es vermochte. »Schuppen«, sagte er, »größer als meine Hand. Sie sehen aus wie Silber oder Stahl und schimmern in allen Farben des Regenbogens. Sie scheinen lebendig zu sein. Es ist fast, als würden sie atmen.«
Ihr Atem zischte. Sie sprach, ohne den Ritter anzuschauen, der am Bett Wache stand. »Sucht den Landvogt. Bringt ihn her.«
Der Ritter verbeugte sich — was Gereint höchst interessant fand — und rannte los.
Während sie warteten, saß Averil neben dem Bett. Es sah aus, als würde sie versuchen, das zu sehen, was Gereint gesehen hatte. Wenn er seine Augen stark zusammenkniff, wurden die Schuppen durchsichtig, und er konnte die dunkle Wolldecke darunter erkennen.
Sein Kopf war voll von Fragen, aber er fühlte sich wieder befangen — und auch schuldig. Hätte er vor einer Woche davon erzählt, als er es zum ersten Mal gesehen hatte …
Bernardin kam so schnell, dass er nicht weit entfernt gewesen sein konnte. Da war kein Anzeichen von Schlaf in seinem Gesicht; seine Augen lagen tief, und die Schatten darunter kündeten von durchwachten Nächten.
Averil musste Gereint nicht lange bitten, dem Landvogt zu erzählen, was er gesehen hatte. Während Bernardin zuhörte, wurde sein Gesicht noch abgehärmter. Als Gereint fertig war — es war schließlich eine kurze, wenn auch sehr wichtige Geschichte -, richtete Bernardin den Blick auf Averil. »Seht Ihr es auch?«
Sie schüttelte den Kopf. »Wenn ich mich anstrenge, kann ich beinahe einen Blick auf etwas erhaschen, aber das mag nur ein Trugbild meiner Fantasie sein. Aber trotz allem glaube ich ihm. Ich glaube, er sieht den Zauber, mit dem mein V-, mit dem mein Gebieter belegt wurde.«
»Zweifellos«, sagte Bernardin. »Sagt mir, Messire. Könnt Ihr hineinsehen? Gibt es da noch etwas anderes als Schuppen?«
»Ich kann nicht -«, begann Gereint, hielt jedoch inne. Seine Augen verengten sich. Wenn er sich zu sehr anstrengte, wäre er so blind wie die anderen. Er durfte sich nicht anstrengen, sondern musste einfach nur da sein. Dann entdeckte er das Gefüge unter den Schuppen. Es mochte ein Stickmuster sein oder die Matrix eines magischen Werkes. Er folgte dem Verlauf mit den Fingerspitzen, ohne die Bettdecke zu berühren.
Er sah, wie Bernardin die Augen aufriss. »Könnt Ihr es sehen?«, fragte er. Der Landvogt nickte. Er beugte sich vor. Averil tat es ihm gleich. »Dergleichen habe ich noch nie zuvor gesehen«,
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