Das magische Land 1 - Der Orden der Rose
Dunkelheit.«
Der Ritter verbeugte sich und verließ rückwärts das Zelt -offensichtlich erleichtert. Clodovec seufzte. Es gab so viel zu tun, wenn er die Welt dazu bringen wollte, die Dinge auf seine Art zu sehen.
Bald. Er hob die Zeltklappe an, die der Ritter hatte fallen lassen, und ließ den Blick über das Lager schweifen.
Die Sonne ging unter und verwandelte den Himmel in ein Meer aus Blut und Feuer. Zuvor hatte es Regen und ein Gewitter gegeben, aber das Unwetter hatte sich nach Westen verzogen, nachdem es die Welt reingewaschen hatte. Er sog die süßliche, feuchte Luft tief in seine Lungen, selbst die Ausdünstungen des Lagers erschienen ihm seltsam angenehm.
Seine Männer hatten ihre Abendrationen verspeist. Während der König das Lager betrachtete, schmetterte die erste Trompete los. Ihre Töne waren dem König so vertraut wie sein eigener Herzschlag. Sie riefen seine Truppen auf, ihre Waffen anzulegen und aufzusitzen.
Seine Knappen warteten darauf, ihm behilflich zu sein. Er hielt noch kurz inne, um den Augenblick auszukosten, bevor er die Zeltklappe wieder fallen ließ, und sich in ihre Fürsorge begab.
Gereint konnte nicht schlafen. Seine Gedanken ließen ihm keine Ruhe. Immer wieder dachte er an Averils verdammte, angeborene Sturheit, dann an die Wärme ihrer Hand in der seinen und an das Wunder der Magie, die durch irgendeine Form der Alchemie, die er vielleicht niemals verstehen würde, zwischen ihnen strömte. Sie hatte eine Bedeutung. Sie konnte etwas bewirken. Aber was das war, das wusste er nicht.
Als er sich nach dem Klang der Mitternachtsglocke noch immer ruhelos hin und her warf, stand er auf und schlich in die Bibliothek, in der Hoffnung, die schlaflosen Stunden zu etwas zu nutzen.
Sobald er seine Bücher und seinen Lehrplan vor sich ausgebreitet hatte, begannen die Buchstaben vor seinen Augen zu verschwimmen. Er legte den Kopf auf seine verschränkten Arme — nur für einen Moment.
Seine Träume waren voller Feuer und Geschrei. Menschen schrien, Blut floss scharlachrot. Es strömte die Wände der Rosenordenshäuser herab und quoll unter den Toren hervor.
Gereint fuhr erschrocken hoch. Sein Rücken war steif, auf seiner Wange war der Abdruck eines Buches zu sehen.
Die Nacht war so still, wie es zu erwarten war. Bis zum Morgengrauen würde es noch eine ganze Weile dauern. In der Ferne rief ein Nachtvogel. Er hatte einen Albtraum gehabt, nichts weiter. Seine Nächte waren voll davon, seit er nach Fontevrai gekommen war. Er stand auf und streckte stöhnend seine verspannten Glieder. Das Amulett, das der uralte Ritter ihm geschenkt hatte, war so warm, dass es auf der Haut brannte. Irgendwo in der Nacht bewegte sich etwas. Gereint erstarrte. Er hatte das Gefühl, als hätte sich etwas Riesiges im Schlaf geregt.
Das Amulett schien der Bewegung zu folgen, dann blieb es wieder ruhig um seinen Hals hängen. Es war genauso wenig magisch wie eh und je. Die ersten Schreie kamen von weit her und waren kaum zu hören. In Wellen kamen sie näher, ansteigend und abfallend. Sie wurden untermalt von einem tiefen Grollen — einem Gemisch aus donnernden Pferdehufen und Schlachtrufen.
Gereint rannte los.
Im Durchgang zur Halle stieß er mit Averil zusammen. Sie sah so aufgewühlt aus, wie er sich fühlte.
Sie wirbelten umeinander. Als sie zum Stehen kamen, war es, als würde die Welt sich weiter um sie drehen. »Was —«, stammelte Gereint.
Ihr Griff war so fest, dass seine Knochen knirschten. »Der König«, sagte sie. »Die Ritter. Jedes Haus … Jeder Mann … Ich habe geträumt -« »Es ist kein Traum«, sagte er mit schrecklicher Gewissheit. »Geht los. Sucht Bernardin. Ich komme zurück, wenn ich kann.«
»Nein«, sagte sie. »Bleib bei mir. Du wirst getötet.«
»Werde ich nicht«, sagte er mit mehr Zuversicht, als er fühlte. »Ich muss es sehen. Für uns alle. Um sicher zu sein. Geht zu Bernardin. Ich werde Euch dort finden.«
Er wartete nicht, bis sie ihn zurückrief. Natürlich hatte sie Recht. Es war der reine Wahnsinn, den Palast in dieser Nacht zu verlassen. Aber es gab Zeiten, in denen man verrückte Dinge tun musste, Dinge, die sich jeglicher Vernunft entzogen. Die Ordnung der Welt brach entzwei. Er fühlte es in der Stadt, in jenen Straßen, die mit seinem Körper verwachsen waren wie das Geflecht von Adern unter seiner Haut. Alte Dinge und kalte Dinge krochen durch eingestürzte Mauern und aufgestoßene Tore herein. Wo auch immer sie mit Magie in Berührung kamen, wurde
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