Das magische Land 1 - Der Orden der Rose
rechtmäßig heiraten konnte und der dem König etwas entgegenzusetzen hatte. Es war besser für sie, tot zu sein, als sich an einen von ihnen zu binden.
Sie zog ihren Dienerinnenumhang enger um sich und trat in den dunklen Teil des Saales zurück. Sie hatte ihre Wahl getroffen. Sie würde das Spiel ihres Vaters zu Ende bringen. Danach würden Gott oder der Seherspiegel des Herzogs ihr sicher den Weg weisen.
Der König überquerte die Grenze am zweiten Morgen nach Averils angeblichem Tod, zu einem Zeitpunkt, als es gerade möglich gewesen wäre, dass er die Nachricht erhalten hatte. Mit einer Eskorte von tausend Männern im Gefolge traf er auf die Ritter der südlichen Marken, die ihm entgegen geritten waren. Er grüßte sie mit sorgfältig einstudierter Trauermiene, ging jedoch nicht so weit, eine kunstvolle Träne zu weinen. »Meine arme Nichte«, sagte er, »und mein armer Schwager. Er muss untröstlich sein.« Der Großritter des Südens war ein Mann von vielen Jahren und großer Erfahrung. Einige seiner jüngeren Begleiter waren erzürnt ob des königlichen Spottes, aber er verbeugte sich mit ernstem Gesicht und sagte: »Wir nehmen Eure Beileidsbekundungen entgegen, Majestät, mit demselben Respekt, mit dem sie ausgesprochen wurden.«
Als Gereint von einem seiner zahlreichen Botengänge zurückkehrte, fand er Bernardin in dessen Arbeitszimmer vor. Der Landvogt hatte die Augen geschlossen und die Hände gefaltet. Er sah aus, als würde er ein Nickerchen machen, wäre er nicht von einem Geruch nach Magie umgeben gewesen. Er war so stark, dass es Gereint in der Nase kitzelte.
Der Mittelpunkt der Magie war Bernardins Finger. Er trug einen goldenen Ring, der mit bunten Glasstückchen besetzt war — in einem Muster, das Gereint an das Amulett erinnerte, das er noch immer versteckt unter dem Hemd um den Hals trug. Gereint warf einen genaueren Blick auf den Ring, und das Motiv trat deutlich hervor: zwei Männer in Kriegerrüstung, die sich gegenüberstanden und Worte sagten, die er so deutlich vernahm, als würden sie direkt neben ihm ausgesprochen.
Er wusste von Wahrsagerei mit Glas oder Kristall, aber das hier war anders. Es schien, als wäre der Ring des Landvogts Teil von etwas viel Größerem, wie ein Stück Glas im Fenster einer Kathedrale. Und dort, auf dem Feld der bevorstehenden Schlacht, war eine weitere Glasscherbe, verbunden mit einer Matrix aus Magie. Indem Bernardin sich darauf konzentrierte, konnte er alles sehen und hören, was um seinen Ritterbruder vor sich ging.
Dies musste ein weiteres Mysterium sein. Fast wäre Gereint vor Schreck zurückgewichen, aber er war zu fasziniert. Sobald ihm klar wurde, was er da sah, fing er an, Ausmaß und Bedeutung des Gesehenen zu erfassen. Jeder Ritter - und wahrscheinlich jeder Knappe und vielleicht jeder Novize hatte Teil an diesem riesigen Mosaik aus Magie. Sie konnten dadurch miteinander sprechen und Wissen von Geist zu Geist weitergeben. Es war wunderbar, kunstvoll und fein gearbeitet, und dennoch so praktisch, dass sich selbst Gereints Mutter gezwungen sähe, seinen Nutzen einzuräumen. Gereint rief sich streng zur Ordnung. Er sah noch immer das Schlachtfeld, sowie den Ritter und den König, die sich gegenüberstanden.
Das Gesicht des Königs war außer sich vor Zorn über die Worte, die der Ritter zu ihm gesagt hatte. Über den goldenen Bartlocken leuchteten seine Wangen flammend rot. Er kräuselte die Lippen; seine Stimme war sanft, aber voller Bösartigkeit. »Nun denn, Messire. Würdet Ihr mir gnädigst gestatten, meine Reise nach Fontevrai fortzusetzen, zur Beerdigung der verstorbenen und beweinten Comtesse?«
Der Ritter verbeugte sich ohne offenkundige Ironie. »Es steht wohl kaum in meiner Macht, Eure Majestät daran zu hindern.«
Bernardins Seufzer ließ Gereint wieder zu sich kommen. Die Vision setzte sich hinter Gereints Augen fort, aber er konnte seine Umwelt wieder wahrnehmen und den Landvogt hören, als er sagte: »Der König ist auf dem Weg. Er wird in drei Tagen hier sein. Oder noch eher, wenn er sich beeilt.«
»Können wir die Comtesse schon eher beerdigen?«, fragte Gereint. Vielleicht hätte er die Frage nicht stellen sollen, aber es war sonst niemand da, mit dem Bernardin hätte reden können.
Bernardin seufzte erneut und schüttelte den Kopf. »Das wäre verlockend«, sagte er. »Leider sind Staatsbegräbnisse an eine unabänderliche Tradition gebunden, und sowohl der Hof als auch die Priester würden es als ungeheuerliche
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