Das Magische Messer
klatschnass und mit steifen Gliedern in das Zelt kroch und den Becher nahm, den Grumman ihm hinhielt.
»Nein, dafür können Sie sich bei den Pfadfindern bedanken«, erwiderte Grumman. »Gibt es die in Ihrer Welt auch? Allzeit bereit. Ein Feuer zu machen geht am besten mit trockenen Streichhölzern, deshalb habe ich immer welche dabei. Es gibt schlimmere Zeltplätze als diesen, Mr. Scoresby.«
»Haben Sie die Zeppeline wieder gehört?«
Grumman hob die Hand. Lee lauschte, und tatsächlich, da war das Brummen wieder. Jetzt, da der Regen ein wenig nachgelassen hatte, war es leichter zu hören.
»Sie sind schon zweimal über uns weggeflogen«, sagte Grumman. »Sie wissen nicht, wo wir sind, aber sie wissen, dass es irgendwo hier sein muss.«
Wenig später kam ein flackernder Lichtschein aus der Richtung, in die das Brummen sich entfernt hatte, weniger hell als ein Blitz, dafür aber beständiger. Lee erkannte, dass es eine Leuchtkugel war.
»Wir machen das Feuer lieber wieder aus, Dr. Grumman«, sagte er, »so Leid es mir tut. Ich halte das Laub zwar für dicht genug, aber man weiß nie. Ich bin völlig durchnässt, aber ich lege mich jetzt trotzdem zum Schlafen hin.«
»Morgen früh sind Sie wieder trocken«, sagte der Schamane.
Er nahm eine Hand voll nasser Erde und streute sie über die Flammen, und Lee versuchte vorsichtig, sich in dem en gen Zelt hinzulegen, und schloss die Augen.
Er hatte seltsame und anstrengende Träume. Einmal glaubte er fest, aufgewacht zu sein und den Schamanen im Schneidersitz vor sich zu sehen, eingehüllt in Flammen, die sein Fleisch rasch verzehrten, bis nur noch ein weißes Skelett übrig war, dass immer noch im Schneidersitz auf einem Haufen glosender Asche saß. Als Lee sich alarmiert nach Hester umsah, schlief diese, was sonst nie geschah, denn wenn er wach war, wachte Hester auch. Als er den Hasen schlafend daliegen sah, seinen wortkargen Dæmon mit der bissigen Zunge, der im Schlaf so sanft und verletzlich aussah, war er seltsam bewegt und legte sich beunruhigt neben ihn, im Traum wach, aber in Wirklichkeit schlafend, und er träumte, noch lange Zeit wachzuliegen.
Auch ein anderer Traum handelte von Grumman. Lee sah den Schamanen eine federgeschmückte Rassel schütteln und jemandem etwas befehlen. Dieser Jemand war, wie Lee mit aufsteigender Übelkeit sah, ein Gespenst wie die, die sie aus dem Ballon gesehen hatten. Es war groß und fast unsichtbar und erregte in Lee einen solchen Ekel und Widerwillen, dass er vor Abscheu fast aufgewacht wäre. Grumman dirigierte es allerdings furchtlos, und das Gespenst tat ihm auch nichts, es hörte ihm vielmehr aufmerksam zu und trieb dann wie eine Seifenblase nach oben und verschwand in den Blättern.
Dann nahm der anstrengende Traum eine abrupte Wendung, denn Lee saß plötzlich im Cockpit eines Zeppelins und beobachtete den Piloten. Er saß auf dem Platz des Copiloten, und sie flogen langsam über den Wald und sahen auf die heftig schwankenden Baumkronen hinunter, ein bewegtes Meer von Blättern und Ästen. Dann war das Gespenst auf einmal bei ihnen in der Kabine.
Im Traum wie gelähmt, konnte Lee sich weder bewegen noch schreien und musste tatenlos zusehen, wie der Pilot plötzlich bemerkte, was mit ihm geschah.
Das Gespenst beugte sich über ihn und drückte den seinem Gesicht entsprechenden Teil an das Gesicht des Piloten. Der Dæmon des Mannes, ein Fink, flatterte und kreischte und versuchte wegzufliegen, fiel jedoch halb tot auf das Armaturenbrett. Der Pilot sah Lee an und streckte die Hand aus, doch Lee konnte sich nicht rühren. Die Qual in den Augen des Mannes war herzzerreißend. Eine Art Lebenselixier wurde aus ihm herausgesaugt. Sein Dæmon flatterte schwächlich und piepste schrill und hoch, doch er lag bereits im Sterben.
Dann löste er sich auf. Der Pilot jedoch lebte noch. Seine Augen wurden glasig und ausdruckslos, und seine ausgestreckte Hand fiel kraftlos auf den Gashebel. Er lebte, und zu gleich lebte er nicht, gleichgültig gegen alles geworden.
Lee saß daneben und musste hilflos mit ansehen, wie der Zeppelin geradewegs auf die Berge zuflog, die vor ihnen auf ragten. Auch der Pilot sah, wie sie nach und nach das Fenster ausfüllten, doch konnte ihn nichts mehr interessieren. Von Grauen gepackt, drückte Lee sich gegen die Rücklehne seines Sitzes, doch konnte nichts die Katastrophe aufhalten.
Im Moment des Aufpralls schrie er: »Hester!«
Und wachte auf. Er lag im Zelt, in Sicherheit, und
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