Das Magische Messer
schon um Hester Angst hatte, die unmittelbar hinter dem Dollbord kauerte. Doch Hester war eine erfahrene Reisende, er hätte es wissen müssen; warum war er nur so schreckhaft?
Als sie die Hafenstadt an der Flussmündung erreichten, mussten sie feststellen, dass jedes Hotel, jede Pension und je des Zimmer von Soldaten beschlagnahmt worden war. Dabei handelte es sich nicht um irgendwelche Soldaten, sondern um die Truppen der Kaiserlichen Moskowitergarde, der diszipliniertesten und bestausgerüsteten Armee der Welt, darauf ein geschworen, die Macht des Magisteriums zu verteidigen.
Lee hatte eigentlich vor der Weiterreise eine Nacht Pause machen wollen, weil Grumman das nötig zu haben schien, doch war es unmöglich, ein Zimmer aufzutreiben.
»Was ist denn hier los?«, fragte er den Bootsverleiher, als er das gemietete Boot zurückgab.
»Wie wissen es nicht. Das Regiment kam gestern an und requirierte sämtliche Quartiere, Nahrungsmittel und Schiffe in der Stadt. Sie hätten auch dieses Boot beschlagnahmt, wenn Sie es nicht mitgenommen hätten.«
»Wissen Sie, wohin sie unterwegs sind?«
»Nach Norden«, sagte der Bootsverleiher. »Nach dem, was man hört, steht ein Krieg bevor, der größte seit Menschenge denken.«
»Nach Norden, in diese neue Welt?«
»Richtig. Und es kommen noch mehr Soldaten – das hier ist nur die Vorhut. In einer Woche wird es hier keinen Laib Brot und keine Flasche Schnaps mehr geben. Sie haben mir einen Gefallen getan, als Sie das Boot nahmen – inzwischen hat sich der Preis dafür verdoppelt …«
Es hatte keinen Sinn, jetzt Pause zu machen, selbst wenn sie eine Unterkunft gefunden hätten. Besorgt um seinen Ballon, ging Lee sofort zu dem Speicher, indem er ihn untergestellt hatte. Grumman hielt mit ihm Schritt; er sah zwar krank aus, war aber zäh.
Der Verwalter des Speichers, eifrig damit beschäftigt, einem Feldwebel der Garde eine bestimmte Anzahl von Ersatz teilen für Motoren auszuhändigen, sah nur kurz von seinem Klemmbrett auf.
»Ballon – tut mir Leid – gestern requiriert«, sagte er. »Sie sehen ja selbst, ich habe keine andere Wahl.«
Hester zuckte mit den Ohren, und Lee verstand, was sie meinte.
»Haben Sie den Ballon schon ausgeliefert?«, fragte er.
»Er wird heute Nachmittag abgeholt.«
»Das wird er nicht«, sagte Lee, »weil ich eine Vollmacht habe, die noch wichtiger ist als die Garde.«
Und er zeigte dem Verwalter den Ring, den er auf Nowaja Semlja vom Finger des toten Skrälings gezogen hatte. Der Feldwebel, der hinter ihm an der Theke stand, hielt in seiner Beschäftigung inne und salutierte, als er das Zeichen der Kirche sah, doch konnte er bei aller Disziplin nicht verhindern, dass ein erstauntes Zucken über sein Gesicht ging.
»Wir brauchen den Ballon jetzt gleich«, sagte Lee. »Beauftragen sie bitte einige Männer, ihn zu füllen. Ich meine sofort. Und sorgen Sie auch für Nahrungsmittel, Wasser und Ballast.«
Der Verwalter sah den Feldwebel an, der nur mit den Schultern zuckte, und eilte dann fort, um nach dem Ballon zu sehen. Lee und Grumman gingen zum Kai, wo die Gastanks waren, um das Einfüllen des Gases zu überwachen und sich leise zu unterhalten.
»Woher haben Sie den Ring?«, fragte Grumman.
»Vom Finger eines Toten. Nicht ganz ungefährlich, ihn hier zu verwenden, aber ich sah keine andere Möglichkeit, meinen Ballon zurückzubekommen. Glauben Sie, der Feldwebel hat Verdacht geschöpft?«
»Mit Sicherheit. Aber er ist Gehorsam gewöhnt, er wird der Kirche keine Fragen stellen. Wenn er überhaupt Bericht erstattet, sind wir schon längst weg, ehe sie etwas unternehmen können. Ich habe Ihnen Wind versprochen, Mr. Scoresby; ich hoffe, Sie können etwas damit anfangen.«
Der Himmel über ihnen war jetzt blau, und die Sonne schien hell. Im Norden hingen immer noch Nebelbänke wie ein Gebirge über dem Meer, doch der frische Wind drängte sie immer weiter zurück, und Lee konnte es kaum erwarten, aufzusteigen.
Während der Ballon sich mit Gas füllte und allmählich über das Dach des Speichers emporwuchs, überprüfte Lee den Korb und verstaute seine Ausrüstung besonders sorgfältig, denn wer wusste, welche Turbulenzen ihnen in der anderen Welt begegnen würden? Auch seine Instrumente schnürte er sorgfältig am Rahmen fest, sogar den Kompass, dessen Nadel sich nutzlos drehte. Zuletzt band er noch ein Dutzend Sand säcke als Ballast um den Korb.
Als der Ballon voll war, sich in der lebhaften Brise nach Norden
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