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Das Magische Messer

Das Magische Messer

Titel: Das Magische Messer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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lehnte und an den dicken Seilen zerrte, mit denen er am Boden verankert war, bezahlte Lee den Verwalter mit seinem letzten Gold und half Grumman in den Korb. Dann beugte er sich zu den Männern an den Seilen hinunter, um den Befehl zum Loslassen zu geben.
    Doch noch bevor er das tun konnte, wurde er unterbrochen. Aus der Gasse hinter dem Speicher kam der Lärm im Schnellschritt marschierender Stiefel.
    Dann wurde ein Kommando gerufen: »Halt!«
    Die Männer an den Seilen hielten inne. Einige sahen den Ankömmlingen entgegen, andere sahen zu Lee hinauf.
    »Loslassen!«, befahl Lee mit scharfer Stimme. »Lasst die Seile los!«
    Zwei der Männer gehorchten, und der Ballon machte einen Satz nach oben, doch die anderen beiden waren mit ihrer Aufmerksamkeit bei den Soldaten, die jetzt im Schnellschritt um die Ecke des Gebäudes kamen. Sie hielten die um die Poller gewickelten Seile weiter fest, und der Ballon schwang mit einem unangenehmen Ruck zur Seite. Lee griff nach dem Korbring; auch Grumman hatte ihn gepackt, und sein Dæmon hatte seine Klauen fest darum gekrallt.
    »Lasst los, ihr verdammten Idioten!«, brüllte Lee. »Der Ballon geht hoch!«
    Der Auftrieb der gasgefüllten Hülle war so gewaltig, dass die Männer sie nicht mehr halten konnten, sie mochten sich daran hängen, wie sie wollten. Ein Mann ließ los, und sein Seil wickelte sich vom Poller ab, der andere dagegen klammerte sich, als er spürte, wie sich das Seil straffte, instinktiv daran fest, statt loszulassen. Lee hatte das schon einmal erlebt und fürchtete sich davor. Der Dæmon des armen Mannes, ein stämmiger Schlittenhund, heulte vor Angst und Schmerzen auf, als der Ballon himmelwärts schoss und er am Erdboden zurückbleiben musste. Fünf endlose Sekunden später war al  les vorbei. Die Kräfte des Mannes versagten, er fiel halb tot nach unten und schlug auf dem Wasser auf.
    Die Soldaten hatten ihre Gewehre bereits angelegt. Ein Kugelhagel pfiff am Korb vorbei, und eine Kugel traf Funken sprühend direkt auf den Korbring, so dass Lee vom Aufprall die Hände wehtaten, doch wurde kein Schaden angerichtet. Als die Soldaten die zweite Salve abfeuerten, war der Ballon schon fast außer Schussweite. Mit großer Geschwindigkeit stieg er in den blauen Himmel hinauf und trieb auf das Meer hinaus. Lee spürte, wie ihm leicht ums Herz wurde. Zu Serafina Pekkala hatte er einmal gesagt, das Fliegen bedeute ihm weiter nichts, es sei nur ein Beruf, aber er hatte das nicht ernst gemeint. Getragen von einem starken Wind aufzusteigen und eine neue Welt vor sich ausgebreitet zu sehen, was konnte es auf Erden Schöneres geben?
    Er ließ den Korbring los. Hester kauerte in ihrer gewohnten Ecke, die Augen halb geschlossen. Von tief unten und bereits weit hinter ihnen ertönte eine weitere erfolglose Salve von Schüssen. Die Stadt entfernte sich rasch, und unter ihnen glitzerte die weite Fläche der Flussmündung in der Sonne.
    »Tja, Dr. Grumman«, sagte Lee, »ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich fühle mich in der Luft wohler. Obwohl ich wünschte, der arme Mann hätte das Seil losgelassen. Es wäre so leicht gewesen, und wer nicht gleich loslässt, für den gibt es keine Hoffnung mehr.«
    »Danke, Mr. Scoresby«, sagte der Schamane, »das haben Sie sehr gut gemacht. Jetzt haben wir also unseren Flug angetreten. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn ich diese Pelze bekommen könnte, die Luft ist doch immer noch recht kalt.«

Der Aussichtspavillon
     
     

    Wills Schlaf in der großen weißen Villa im Park war unruhig. Träume voller Angst und zugleich süßer Empfindungen suchten ihn heim, so dass er aufwachen und zugleich weiterschlafen wollte. Als seine Augen schließlich ganz offen waren, fühlte er sich so matt, dass er sich kaum bewegen konnte. Dann setzte er sich hin und stellte fest, dass sein Verband sich gelöst hatte und das ganze Bett rot war.
    Er stand mühsam auf und ging durch das von staubigem Sonnenlicht und Stille erfüllte Haus zur Küche hinunter. Er und Lyra hatten, eingeschüchtert durch die majestätischen Himmelbetten in den großen Gemächern im ersten Stock, in den Gesindekammern unter dem Dach geschlafen, und so war es ein langer Gang auf wackligen Beinen.
    »Will –«, entfuhr es Lyra. Sie klang besorgt und kam sofort vom Herd, um ihm in einen Stuhl zu helfen.
    Ihm war schwindlig. Er hatte eine Menge Blut verloren, der Beweis bedeckte ihn über und über. Und die Wunden bluteten noch immer.
    »Ich wollte gerade Kaffee machen«,

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