Das magische Portal - Weltennebel
die Nebelhexen in Albany verachtete. Vielleicht hatte sie sich ja tatsächlich gescheut, ihm ihr wahres Wesen zu offenbaren, und hatte Ärger mit den Zauberern befürchtet. Häufig beobachtete er sie, wenn sie durch die Straßen lief. Auf den ersten Blick eine ganz normale junge Frau, doch wer genau hinsah, bemerkte ihr etwas sonderbares Verhalten, das sie von den anderen Menschen unterschied. Ihr Blick war wachsamer, misstrauischer, sie bewegte sich mit der Geschmeidigkeit einer Raubkatze und ließ ihn nicht aus den Augen, wenn sie in große Menschenansammlungen gerieten. Wenn sie ab und zu dem Lärm der Großstadt entflohen und hinaus aufs Land fuhren, wirkte sie deutlich entspannter, schien zu einem Teil der Hügel und der kleinen Wälder zu werden. Ihr Gesicht war weicher und lieblicher, und viele Male wurde er sich dann bewusst, dass sie mal wieder genau das aussprach, was er dachte.
Auch nach zwei Wochen hatten sie keine Spur von dem Bettler gefunden, obwohl sie das Gefühl hatten, schon jeden Winkel Edinburghs abgesucht zu haben. Darian befürchtete, dass Nordhalan vielleicht in eine andere Stadt gegangen sein könnte, aber Mia war sich sicher, dass er noch hier war, und bestand darauf weiterzusuchen. In den einsamen Nächten grübelte Darian über sein Leben nach, über diese absurde Situation, die er sich in seinen kühnsten Träumen nicht hätte ausmalen können. Und manchmal überkam ihn das Gefühl, er müsste jeden Moment aufwachen, und alles wäre wieder normal.
Ein weiterer regnerischer Nachmittag war verstrichen, ohne dass ihre Suche auch nur einen Hinweis auf Nordhalan ergeben hatte.
»Wo ist er denn nur?«, überlegte Mia unglücklich und blickte die belebte Hauptstraße entlang. »Zu dumm, dass Elementargeister in diesen großen Städten kaum zu beschwören sind. Ich habe es mehrfach versucht, aber Wind- und Nebelgeister waren so schnell verschwunden, wie sie gekommen waren, und wollten mir nicht helfen.«
»Sicher hat Nordhalan sich einen Unterschlupf gesucht«, vermutete Darian und stellte schaudernd den Kragen seiner Jacke auf. »Komm, wir gehen zurück.«
Auf halbem Weg zur Pension hielt Mia Darian am Arm fest. »Warte, ich möchte dir etwas zeigen.« Sie führte ihn in eine dunkle Hintergasse und blieb vor einem unscheinbaren kleinen Geschäft stehen. Vergilbte und verstaubt aussehende Bücher schmückten die Auslage.
»Der alte Mann, dem der Buchladen gehört, hat mir geholfen, als ich vor etwa fünfzehn Jahren aus Albany hierherkam«, erklärte sie und lächelte Darian an. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie verwirrt ich war. Noch niemals zuvor hatte ich ein Auto gesehen oder einen Zug. In dem kleinen Dorf unterhalb des Steines fragte ich einen Bauern, wo die Herrscherfamilie dieses Landes lebte.« Mias verträumtes Lächeln ließ Darian vermuten, dass sie in der Vergangenheit versunken war. »Zunächst hat er mich seltsam angesehen und dann angefangen, darüber zu schimpfen, dass Schottland eigentlich unabhängig sein sollte und er nichts von der Königsfamilie in England hielte. Er begann von dem Schloss in Edinburgh zu schwärmen und meinte, eines Tages würde wieder ein schottischer König auf dem Thron sitzen. Also machte ich mich zu Fuß auf den Weg nach Edinburgh. Irgendwann nahm mich jemand in einem Auto mit. Am Anfang musste die arme Frau alle fünf Meilen anhalten, weil ich mich ständig übergeben habe.«
»Du Arme«, sagte Darian mitleidig und musterte Mia nachdenklich. Er hatte noch nie darüber nachgedacht, wie fremd das alles für sie gewesen sein musste.
»Diese riesige, laute Stadt hat mich beinahe erschlagen«, erzählte sie weiter. »Tagelang bin ich durch die Straßen geirrt, bis mich, an einem ähnlich regnerischen Tag, der alte Buchhändler in seinen Laden geholt hat. Dort, zwischen den alten Büchern, habe ich mich ein wenig wohler gefühlt. Der alte Mann war sehr nett, und ich habe ihn gefragt, ob er nicht zufällig weiß, wie ich herausbekommen kann, wo ein kleiner Junge namens Darian lebt. Möglicherweise in Begleitung eines Mannes, der sich Nordhalan nennt.«
Bei diesen Worten lachte Darian laut auf.
»Auch Mr. Gordon wirkte verwundert«, erklärte Mia. »Er sagte: ›Mädchen, du siehst aus, als wärst du einer Legende entsprungen.‹ Damals trug ich ein Gewand aus meiner Heimat, musst du wissen«, fügte sie noch hinzu. »Zwar hatte ich mein Gesicht verschleiert, aber die Kleidung war einfach ungewöhnlich.«
»Hat er dir irgendwie helfen können?«,
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