Das Mal der Schlange
dazu und das weltumspannende Netzwerk der Jäger arbeitete auch in Finanzdingen eng zusammen.
Die Familie in Rom hatte sie mit offenen Armen empfangen und sich ihrem Wunsch gebeugt, ihre Anwesenheit in der Stadt vor den Mitgliedern anderer Familien geheim zu halten. Wenigstens in der ersten Zeit, damit sie zur Ruhe kommen konnte.
„ Ich verstehe nicht, warum das so wichtig für dich ist, Victor und Georgianna sind bestimmt in Sorge“, hatte Ilaria ihr zum wiederholten Male vorgeworfen, als sie an einem Frühsommertag zusammen auf der Piazza Navona saßen.
Emmaline hatte den hervorragenden Espresso unberührt wieder zurück gestellt und erwidert, „Das haben wir doch schon so oft besprochen. Es handelt sich um eine persönliche Angelegenheit und wenn sie erfahren, dass ich hier bin, werde ich sofort weiter ziehen – übrigens auch dann, wenn ich hier meine Privatsphäre nicht wahren kann.“
Ilaria hatte schmollend mit einer dunkelbraunen Strähne ihres Haares gespielt aber nichts mehr darauf erwidert.
Es war ein besonderes Arrangement zwischen Emmaline und den anderen Zeitjägern in Rom. Sie erfüllte all ihre Aufgaben umgehend und gewissenhaft, blieb aber ansonsten für sich. Ilaria war die einzige, mit der sie sich in unregelmäßigen Abständen traf. Meistens, so wie an jenem Tag, um zu jagen, manchmal aber auch nur, um Neuigkeiten auszutauschen.
„ Ich sehe ihn!“, Emmalines Stimme war beiläufig, als ob sie einen guten Bekannten in der Menge entdeckt hätte, aber ihr Körper stand unter Spannung.
Noch immer war es ein unbeschreibliches Gefühl, das Ziel auszumachen und zu taxieren. Inmitten der bunten Menschen, die sich in der schmalen Gasse auf der gegenüberliegenden Seite drängten, hatte sie ihn entdeckt. Ein Mann in seinen späten Dreißigern, klein und untersetzt, ohne Farbe. Sie legte fasziniert den Kopf schief. Er sah aus, wie auf einer schwarz-weißen Postkarte. Die Sünder waren für die Augen der Krieger unübersehbar.
„ Welcher ist es denn“, hatte Ilaria ungeduldig gefragt. Nur der jeweilige Jäger konnte sein Opfer erkennen.
„ Der mit dem Strohhut und dem dicken Bauch.“
„ Morituri! Morituri!“, flüsterte Ilaria leise. Sie verwendete das lateinische Wort für die Todgeweihten, die Gladiatoren, um ihrer Missbilligung über die Menschen Ausdruck zu verleihen, die es verdient hatten zu sterben.
„ Sei nicht so selbstgerecht. Wenn er nicht gesündigt hätte, würde ich seine Zeit nicht ernten dürfen. Leben und Sterben. Der ewige Kreislauf, kein Grund, sarkastisch zu werden.“
Ilaria verdrehte die Augen, „Wie viele Jahre wird er dir bringen?“
„ Fünfundzwanzig.“
Ilaria verzog geringschätzig das Gesicht, „Mit diesem Übergewicht hätte er also auch ohne uns keine besonders hohe Lebenserwartung.“
„ Fünfundzwanzig Jahre sind besser als nichts, für mich jedenfalls. Ich habe schon für weniger getötet.“
„ Was hat er getan?“
Emmaline konzentrierte sich noch mehr auf den Mann, bis sie die Bilder in ihrem Kopf sehen konnte, „Er ist ein Auftragskiller für die Mafia. Er hat im vergangenen Jahr beinahe dreißig Menschen getötet. Darunter ganze Familien, Frauen, Kinder“, sie brach ab, „Ich möchte gar nicht mehr wissen.“
„ Wie willst du es tun?“ sie hatte dem Kellner bereits gewunken und die Rechnung bezahlt.
„ Genauso wie letze Woche, bei dieser Prozession, weißt du noch?“, Ilaria nickte und Emmaline fuhr fort, „Es sind sehr viele Menschen auf dem Platz, da sollte es nicht schwer sein. Am Ende der Gasse, links, ist ein kleiner Garten. Nein, Garten wäre übertrieben, es sind eine Reihe Oleandertöpfe, die vor einer Hauswand stehen, und eine geschützte Nische bilden. Würdest du voraus gehen und sicher stellen, dass niemand dort ist, bitte?“
Ohne ein weiteres Wort stand Ilaria auf und schlenderte über den Platz, vorbei an dem herrlichen Brunnen. Sie bewunderte für einen Moment die Statuen der berühmten Flüsse und blieb kurz vor dem Nil stehen, dann bog sie in die kleine Seitenstraße ein und war aus Emmalines Blickfeld verschwunden.
Nun begann Emmaline sich ihrem Opfer langsam zu nähern – eine elegante junge Frau in Rock und Bluse, das blonde Haar mit zwei Kämmen zurück gesteckt, in der Hand eine kleine Basttasche - ein perfekt getarntes Raubtier.
Äußerlich wirkte sie vollkommen beiläufig, innerlich war sie hoch konzentriert. Ihre hellgrauen Augen verdunkelten sich plötzlich, wie immer, wenn ein Krieger unter
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