Das Mal der Schlange
richtig verstanden. Ich möchte die Ältesten kennenlernen und mit ihnen sprechen. Ist das möglich?“
„ Grundsätzlich ja“, zögerte sie, „Aber eigentlich geht das nur in Begleitung des Oberhauptes…“
„ Welches heute nicht hier ist, deswegen bitte ich seinen Stellvertreter. Ilaria, bring mich zu den Ältesten, ich habe ihnen einen Vorschlag zu machen, der uns allen helfen könnte.“
„ Also gut“, sie spürte, dass Ilaria eigentlich noch mehr hätte sagen wollen, dann aber schüttelte sie den Kopf und meinte nur, „Ich gehe voraus.“
Sie stiegen noch weiter hinab unter die Ewige Stadt und Emmaline hatte nach kurzer Zeit die Orientierung verloren. Wahrscheinlich ein beabsichtigter Effekt, dachte sie und folgte stumm Ilarias zierlicher Gestalt.
Vor einer zweiflügeligen Türe machten sie Halt. Ilaria klopfte daran und hielt Emmaline dann den rechten Türflügel auf. Nun wollte sie sich zurückziehen.
„ Warte“, flüsterte Emmaline, „Ist es nicht so, dass das Oberhaupt dabei sein muss, wenn ein Zeitjäger mit den Ältesten spricht?“
„ Aber ich bin nicht das Oberhaupt!“
„ Trotzdem solltest du mit hinein kommen – der Form wegen.“
„ Oh Emmaline, ich weiß genau, dass dir die Form ebenso egal ist, wie mir! Wenn du mich dabei haben möchtest, dann sag es doch einfach!“
Sie wurden bereits erwartet. Der Raum war nicht besonders groß und erinnerte Emmaline an Edinburgh. Er war unmöbliert bis auf einen runden Tisch in der Mitte, an dem ein alter Mann saß.
Ilaria und Emmaline verneigten sich tief und richteten sich erst wieder auf, als der Mann das Wort an sie richtete, „Emmaline, es ist schön, dich kennenzulernen.“
„ Verzeih die Störung, Sisto, aber Emmaline hatte dringend um ein Treffen gebeten und da Massimo nicht hier ist, dachte ich…“
„ Du machst deine Sache sehr gut, Ilaria, auch wenn du Aufgaben erledigst, die Massimo dir nicht zumuten sollte“, etwas Dunkles, Kaltes lag für einen Moment in seiner Stimme. „Es war vollkommen richtig, deine Schwester zu uns zu bringen. Nehmt bitte Platz.“
Im Näherkommen sah Emmaline, dass Sistos Augen haselnussbraun waren, es brannte kein Flammenkranz darin. Unzählige Falten durchzogen sein olivfarbenes Gesicht, sein dichtes Haar war schneeweiß und auch im Sitzen wurde klar, dass er ein großer Mann war. Er hatte Emmalines neugierigen Blick bemerkt und lächelte amüsiert.
„ Es war nicht immer weiß, Kind. Früher war es blauschwarz und noch dichter. Und unter dieser faltigen Haut waren starke Muskeln, die ein Schwert zu führen wussten.“
„ Wie alt bist du?“, entfuhr es Emmaline.
Ilaria versetzte ihr einen Tritt unter dem Tisch.
Sisto lachte, „Ah, wie erfrischend! Ich bin sehr alt, junge Kriegerin. Zu meiner Zeit herrschten noch die Kaiser in Rom und ich war General in der Armee. Bis ich zu einem Zeitjäger wurde und den Untergang meiner Stadt mit ansehen musste.“
Emmaline war beeindruckt.
„ Sisto ist der italienische Name für Sixtus. Irgendwann schien ein lateinischer Name wirklich zu altmodisch zu sein, da änderte ich ihn ins Italienische.“
„ Und wann wurdest du zu einem Ältesten?“
„ Vor ein paar hundert Jahren. Wenn wir aufhören, nach Lebensjahren zu jagen, altern wir. Zwar viel langsamer als normale Menschen, aber stetig, bis unser Konto an Lebensjahren aufgebraucht ist. Dann müssen wir uns entscheiden, ob wir unserem Dasein ein Ende setzen wollen, oder ob wir in einen Zustand der Starre fallen wollen, aus dem wir irgendwann später wieder erweckt werden können. – Also ob wir uns selbst töten, oder ob wir schlafen wollen“, er zwinkerte, „Und ich darf dir verraten, dass sich bisher noch keiner der Ältesten in Rom für den Schlaf entschieden hat. Nach so vielen Jahren verlässt man diese Welt gerne, wenn sich einem die Gelegenheit dazu bietet.“
Er lehnte sich bequem zurück, „So, ich habe dir ein wenig von mir erzählt, nun bist du an der Reihe. Weshalb möchtest du mit den Ältesten sprechen? Ich werde meinen Brüdern und Schwestern alles weitergeben, was du mir zu sagen hast.“
„ Ich komme wegen Massimo.“
„ So viel dachten wir uns schon. Wir verurteilen zutiefst, was er dir und deinem Ehemann angetan hat. Dazu hatte er kein Recht. Es ist bedauerlich, dass er völlig ungestraft einen Unschuldigen ermorden konnte.“
„ Wieso ungestraft? Was ist mit seinen Träumen?“
„ Das ist ja das Außergewöhnliche bei Massimo“, sagte er beinahe flüsternd,
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