Das Matrazenhaus
schließlich. »Ich habe ein wenig abgenommen«, sagte sie, »und ich bin älter geworden.« Kovacs presste die Finger auf die Augen, bevor er den Schlüssel ins Schloss steckte. »Wo ist die Katze?«, fragte er. Das Mädchen wies zum Brunnen: »Bei den anderen.«
Sie stiegen wortlos die Treppe hoch, er voran. An der Wohnungstür wandte er sich dem Mädchen zu. »Vor eineinhalb Jahren warst du ein Kartoffelsack«, sagte er, »was bist du jetzt?«
»Eine Art Punk.«
»Mit Punks kenne ich mich nicht aus. Wie lange wirst du bleiben?«
Das Mädchen lächelte erneut verlegen und zuckte mit den Schultern. »So lange ich darf«, sagte es, »es sind Osterferien.«
»Hast du Sachen mit?«
Das Mädchen nickte und wies mit dem Daumen auf eine silberfarbene Kunststofftasche mit einem roten Vulkan drauf, die es über der Schulter hängen hatte. »Ist das alles?«, fragte er.
»Mehr brauche ich nicht.«
Andere Mädchen hätten ständig jede Menge Zeugs dabei, sagte Kovacs. Sie glaube, sie gehöre nicht zu den anderen, sagte das Mädchen.
Kovacs schlüpfte aus seiner Jacke und warf sie auf den Stuhl, der im Vorzimmer stand. Dann schnürte er seine Schuhe auf. Das Mädchen stand einfach da und sah ihm zu. »Ich möchte dich etwas fragen«, sagte er plötzlich, »und denk gut nach, bevor du antwortest. – Habe ich dich jemals geschlagen?«
Kovacs sah, wie dem Mädchen langsam Tränen in die Augen stiegen. »Du sagst so blöde Sachen«, sagte es schließlich.
Zwölf
Die Seele sitzt drei Fingerbreit unter dem Nabel. Dort stichst du mit dem Tanto senkrecht in dich, in einem Zug, bis die Spitze die Wirbelsäule berührt, führst die Klinge nach rechts, dann bogenförmig nach oben und legst, wenn du das Sprudeln in dir hörst, das Kinn an die Brust für den Hieb des Kaishaku-Nin. Alles ist eine fließende Bewegung, und in deinem Gesicht stehen nicht Angst oder Zorn noch Stolz noch Demut noch Zweifel, sondern die Welt, wie sie ist, nichts und alles.
An manchen Tagen bleibe ich einfach sitzen und schaue im Internet Sachen nach. Wenn nach einer Weile die Steinmetz in die Klasse kommt und fragend auf ihre Armbanduhr deutet, mache ich nur bitte, bitte und sie lacht und lässt mich. Ich lese über Indien im Allgemeinen, über Mumbai und Delhi, über die Strände im Westen und über die Stadt, von der ich glaube, dass sie meine ist. Manches drucke ich aus und stecke es in eine Klarsichthülle. Ich lese über Gatka, die Kampfkunst der Sikhs, über ihre Kleidung, ihre Bewegungen und die Waffen. Seit ich den Film in der roten und gelben Hülle besitze, lese ich auch über Japan und die Samurai, über das Katana, über das Wakizashi und das Tanto. Ich bin keine Sikh und keine Japanerin, also ist es egal. Ich lese über Seppuku, über die richtige Haltung, über den Dienst des Freundes und über das letzte Gedicht. Die Sache geht auf Nummer sicher, das finde ich sympathisch. Seppuku weiß, wann du tot bist. Andere wissen das nicht.
Ich komme nach Hause und die Verrückte fliegt mich an, wo ich denn schon wieder bleibe. Ich sage, auch wenn man in eine Computerklasse geht, ist es leider nicht so, dass für jeden Einzelnen ein eigener PC da ist, und da ich von meinen Eltern bis jetzt leider kein Notebook bekommen habe, bin ich manchmal die Zweite und muss länger bleiben. Sie sagt, ich bin ein verlogener Fratz und sie glaubt mir kein Wort, und ich falte die Hände vor der Brust und verbeuge mich. Sie springt auf, knallt die Tür zu und läuft davon.
Im Zimmer riecht es komisch. Ich weiß, was das bedeutet, und schaue mich um. Switi liegt nicht vor dem Bett, wo sie meistens liegt. Die Kleiderschranktür steht einen Spalt offen. Ich öffne sie ganz. Sie liegt eingerollt im untersten Fach, wie eine Katze. Sie blickt mich kurz an, dann presst sie die Augen wieder zu. Ich knie mich hin, fasse in den Schrank und ziehe sie heraus. Sie ist nass und stinkt.
Als ich mit zwei Handtüchern, einem feuchten und einem trockenen, aus dem Badezimmer komme, steht die Verrückte auf dem Gang. »Hat sie sich wieder angeschissen?«, fragt sie. Ich sage, ja, ich mach das schon. Sie sagt: »Sie ist so ein Schwein.«
Sie tut alles, was ich sage. Sie setzt sich ans Bett, sie hält die Arme hoch, damit ich ihr das Kleid ausziehen kann, sie steht auf. Die ganze Zeit hat sie die Augen geschlossen. Rund um ihre Lippen läuft ein weißer Ring, der sieht komisch aus. Ich streife ihr die Unterhose ab. Untenrum ist sie rot und braun gemischt. Ich wische ihr das
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