Das mechanische Herz
kann!“ Sie eilte die Stufen hinunter, erleichtert, die kalte, klare Herbstluft auf den Wangen zu spüren, den Wind, der an ihren Flügeln zupfte.
„Morgen noch, dann bin ich durch damit.“ Sie stieß das Tor des Anwesens auf. „Pyke hatte recht – Erhabene bringen einem nur Ärger. Ich nehme ihn mit zum Turm, das tue ich für Viera, aber dann ist Schluss. Ich habe schließlich auch noch etwas anderes zu tun, richtige Arbeit!“
Menschenleer lag die Straße vor ihr. Durch die Fenster der umliegenden Anwesen schimmerte Licht, hell und rund stand der Mond am Himmel. Sie schob die Arme unter die Flügel, zuckte mit den Schultern, um sie auszuhaken, klappte sie auf.
„Taya, warte!“
Sie drehte sich um – Cristof kam durch das Tor geeilt, der halb angezogene Mantel hing ihm schief über der einen Schulter.
Taya trat einen Schritt zurück, hielt ihr Gesicht in den Wind.
„Aus dem Weg!“ Sie breitete die Metallschwingen aus – er duckte sich darunter hinweg.
„Würdest du mir bitte zuhören?“
„Ich habe Euch nichts mehr zu sagen.“
„Bitte!“
Ein letzter Blick zu den Sternen, dann ließ sie die Flügel sinken. Was für eine weichherzige Närrin sie doch war! Sie warf Cristof einen stahlharten Blick zu.
„Ihr habt haargenau zehn Sekunden.“
Er packte sie beim Unterarm, der in schützende Ondiumstützen gehüllt war. „Tut mir leid. Alister hat mir erzählt, ihr wärt ein Paar. Ich habe ihm geglaubt.“
„Wir wissen doch beide, wie oft er log.“ Taya versuchte, ihn abzuschütteln, aber Cristof packte nur noch fester zu.
„Ich hätte das alles nicht sagen sollen, es tut mir wirklich leid. Ich bin derjenige, der meinen Bruder sieht – jedesmal, wenn ich dich ansehe.“
„Warum?“ Misstrauisch musterte Taya die blassen Augen, die hinter den Brillengläsern riesig wirkten.
„Kannst du dir vorstellen, wie ihr ausgesehen habt, als ihr zusammen getanzt habt?“
„Das war nur ein Tanz.“
„Ihr habt ...“ Cristofs Stimme drohte zu brechen. „Ihr saht so glücklich aus. Wie ein Paar. An dem Abend sprach ich zum letzten Mal mit ihm. In der Nacht, als ich euch beide zusammen tanzen sah.“
„Oh Herrin.“ Taya ließ die Schultern hängen. Metallfedern klapperten auf das Kopfsteinpflaster.
„Danach ... wollte ich mit dir reden. Über das, was du gehört hattest. Aber du warst ständig nur auf der Tanzfläche, und Alister gab damit an, dass du die Nacht bei ihm verbringen würdest, und da habe ich einfach aufgegeben. Ich hätte ihm nicht glauben dürfen, aber ich wusste, dass ihr euch auch schon vor dem Fest getroffen hattet, und wenn man euch zusammen sah ... es schien so offensichtlich, dass ihr füreinander bestimmt wart.“ Er klammerte sich an ihre Ondiumstützen, als wolle er sie nie wieder loslassen. „Jedesmal, wenn ich dich sehe, fühle ich mich schuldig. Weil er starb und nicht ich, und weil ich ihn dir nicht ersetzen kann.“
„Natürlich könnt Ihr das nicht.“ Taya fühlte sich plötzlich ungeheuer müde. „Ich hätte ihn verlassen sollen, ohne ihn anzuhören.“ Wut ist besser als Trauer. „Es gibt nichts zu ersetzen.“
„Du hast ihn geliebt.“
„Nein. Ich mochte ihn und dachte anfangs, es könne Liebe daraus werden. Aber nach allem, was ich jetzt herausgefunden habe, bin ich froh, dass es nicht dazu kam. Ich weiß nicht. Vielleicht ist Unhöflichkeit doch besser. Ihr macht mich wütend, aber Ihr lügt nicht.“
„Außer in Form von Unterlassungslügen.“ Cristof fixierte die weißen Finger, mit denen er Tayas Unterarm festhielt. „Mir wird schlecht, wenn ich daran denke. Neidisch zu sein auf meinen toten Bruder!“
Neidisch?Taya warf ihm einen prüfenden Blick zu. Der Erhabene hatte die Schultern hochgezogen, stand vor ihr, ganz scharfe Ecken und Kanten. Langsam nahm er die Hand von ihrem Flugapparat.
„Mach dir keine Sorgen. Ich finde einen anderen Weg zum Turm hinauf. Wenn ich Amcathra berichte, was ich bis jetzt herausgefunden habe, lässt er mich vielleicht wieder am Fall mitarbeiten.“
Mit einem langen, gequälten Seufzer warf Taya einen sehnsüchtigen Blick zum Himmel hinauf. „Oh Herrin, ich muss lernen, hartherziger zu sein!“
„Ihr nervt bis in die Schwanzspitzen, das ist Euch doch wohl klar, Erhabener. Oder? Ich weiß nicht, wie lange ich Euch noch ertragen kann. Es gibt weiß die Herrin genügend andere Leute, mit denen ich meine Zeit verbringen könnte.“
„Für mich nicht.“ Die Gaslampen ließen Cristofs Brillengläser kleinen
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