Das mechanische Herz
bedecken kann“, befahl Viera, indem sie langsam aufstand, „und bringt mir meinen Sohn.“
„Euer Sohn wird gerade heruntergebracht, Erhabene.“ Der Liktor knöpfte seinen schweren Mantel auf, um ihn der Dame zu reichen.
„Taya? Taya, ist alles in Ordnung?“ Beim Klang der vertrauten Stimme sah Taya auf.
Am Rande der Menge war der Ikarier aufgetaucht, der ihr in der Luft zu Hilfe gekommen war und ihren Sturz abgefangen hatte. Er zog Schutzbrille und Haube ab, wodurch ein dichter, lockiger schwarzer Haarschopf zum Vorschein kam. Die Flügel hatte er angelegt, einrasten lassen und gesichert, die Sicherheitsleine fein säuberlich zusammengerollt und verwahrt.
Ohne zu murren, ließen ihn die Schaulustigen passieren. Selbst die Liktoren traten beiseite, wenn auch sichtlich ungern.
„Hallo, Pyke.“ Taya ließ zu, dass der Kollege ihr die Hand gab, um sie hochzuziehen. Einen Moment lang ließ sie den Kopf an seiner Brust ruhen, sammelte Kraft. „Danke.“
„Jederzeit wieder.“ Er tätschelte ihre Schulter. „Flügel hoch, Schatz!“
Tayas Metallflügel schwebten immer noch horizontal, wo sie immer wieder mit Gaffern zusammenstießen, die versuchten, dem Kern des Geschehens näher zu kommen. Leise stöhnend schob Taya die Arme in die Flügelhalterung, stellte die Flügel auf und hakte sie so ein, dass sie ihr in gerader Linie den Rücken hinauf bis über den Kopf ragten.
Auch als sie die Arme, nun vom Geschirr befreit, wieder sinken ließ, musste sie stöhnen. Das konnte morgen ja heiter werden, mit solchen Schulterschmerzen! Sie zog die Fliegerhaube vom Kopf und fuhr sich mit der Hand durch das kurze, schweißnasse Haar. Wunderbar, die kühle Brise an ihrem heißen Haupt.
„Taya Ikara.“ Die Erhabene Viera wandte sich zu ihnen um. Barfuß, im geliehenen Mantel und mit improvisierter Maske glich sie eher einem Kind, das sich verkleidet hatte, als einem vollwertigen Mitglied der herrschenden Klasse. Ein Blick in die ruhigen, dunklen Augen über dem Schleier aber genügte: Taya wusste, dass die Frau ihre Fassung und damit auch ihre Würde bereits wiedergefunden hatte. „Stellst du mir bitte deinen Freund vor?“
„Er heißt Pyke, Erhabene. Er hat uns die Sicherheitsleine zugeworfen.“
„Zu Euren Diensten!“ Auch Pyke legte die Hand an die Stirn, aber seine Verbeugung fiel eher nachlässig aus, und Taya musste ihn erst wütend anfunkeln, ehe er hinzufügte: „Erhabene.“
„Auch dir danke ich für deine Hilfe, Pyke Ikarus.“ Viera sah auf. Neugierig folgte Taya ihrem Blick.
Der Pfeiler war umgeknickt und eingestürzt. Die verbogenen Metallstreben schwebten, in den Drahtseilen der Fähre gefangen, bedrohlich über dem Boden, als seien sie in ein riesiges Metallnetz verstrickt. Die Kabine war in die Flanke eines der Stationstürme gekracht und nur noch ein Gewirr aus Trümmern. Ein paar Längsstreben aus Ondium waren nach oben getrieben und hingen nun ebenfalls im Kabelnetz.
„Schrott“, hauchte Pyke erschüttert. „Du schuldest der Herrin ein paar Kerzen, Taya. Zünde sie gleich am nächsten Feiertag an.“
„Klar“, murmelte Taya, die die zertrümmerte Gondel mit weit offenem Mund anstarrte.
„Erhabene, wenn Ihr mir bitte folgen würdet?“, bat einer der Liktoren. „Ich führe Euch zur Station. Dorthin bringen wir auch Euren Sohn, und Euren Mann verständigen wir per Flaggensignal von den Vorkommnissen.“
„Gut. Wir reden noch miteinander, Taya Ikara. Das Haus Octavus vergisst dir den Dienst nie, den du ihm heute erwiesen hast.“ Ehe Viera sich wegführen ließ, berührte sie Tayas Flügel. Taya sah ihr voller Bewunderung für den Mut und Elan dieser Frau nach. Gut – sie war eine Erhabene. Vielleicht würde es Taya nach ein paar tausend Wiedergeburten ja auch möglich sein, gleich nach einer Nahtoderfahrung so ruhig und selbstsicher aufzutreten.
„Entschuldigt“, wandte sich ein anderer Liktor höflich an Pyke und Taya, aber lange nicht so ehrerbietig wie eben sein Kollege der Erhabenen gegenüber. „Ich brauche von jedem von euch einen Bericht über den Verlauf der Ereignisse.“ Der Mann war groß, blass und blond, von der Abstammung her also Demikaner, was Taya wusste, auch ohne seinen Akzent zu analysieren. Der auf eine Wange tätowierte Liktorenstreifen wies ihn allerdings als vollwertigen Bürger Ondiniums aus.
„Ich kann nicht viel sagen.“ Taya hatte die Handschuhe ausgezogen und lockerte gerade die obersten Knöpfe ihres Fliegeranzugs. „Bis zu dem großen
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