Das mechanische Herz
jammern.“
Taya beugte sich vor, wobei sie die Ellbogen auf ihre Knie stützte.
„Ich will helfen. Das wisst Ihr doch, oder?“
„Ja.“
„Also werde ich nicht zulassen, dass Ihr Eure Zeit mit Selbstmitleid und Bitterkeit verschwendet.“
„Tue ich das gerade?“
„Ihr seid nah dran.“ Sie legte ihm die Hand aufs Bein. „Passt auf: Ihr habt das Richtige getan, und Alister auch, indem er gestand. Jetzt wird er Euch brauchen. Er ist ganz allein in seiner Zelle, muss seinem Tod, der Exekution ins Auge sehen, also braucht er seinen älteren Bruder. Ihr müsst ihn unterstützen. Das ist alles, was Ihr für ihn tun könnt. Wenn Ihr ihn trotz allem liebt, tut es. Unterstützt ihn, seid für ihn da.“
Cristof holte tief Luft und nickte einmal, immer noch mit fest geschlossenen Augen.
„Auch Viera wird euch brauchen“, fuhr Taya fort. „Ihr müsst nicht derselben Meinung sein wie sie. Soll sie doch aufgebracht sein – Ihr müsst ihr zu verstehen geben, dass Ihr sie nicht im Stich lasst.“
Cristof schlug die Augen auf und warf ihr einen hoffnungslosen Blick zu.
„Es wäre einfacher, wenn du bei mir wärst. Sie mögen dich lieber als mich.“
„Das stimmt ja nun in keiner Weise. Aber wenn Ihr wollt, kann ich Euch begleiten.“ Sie zuckte die Achseln. „Ich darf sowieso zwei Wochen lang nicht in die Luft. Da bin ich doch lieber die persönliche Assistentin eines Erhabenen, als in der Verteilerstelle Briefe zu sortieren.“
Cristof legte seine Hand auf die ihre, hielt sie fest.
„Musst du es denn als eine Pflicht ansehen? Könntest du es nicht einfach als Freundin tun?“ Seine Stimme klang angespannt.
„Natürlich. Aber lasst es uns dennoch offiziell machen. Als ‚Freundin ‘ eist Ihr mich nicht aus der Verteilerstelle los.“ Sie legte den Kopf schief. „Aber vielen Dank für die Frage. Ihr habt wirklich Eure lichten Momente.“
Die Falten in seinem Gesicht glätteten sich, fast unmerklich nur, aber immerhin. „Bin ich schon bei ‚selten ‘ ? Statt ‚äußerst selten ‘ ?“
„Nein, aber ich erwarte auch keine Wunder.“
Er lachte kurz auf, eigentlich eher ein Keuchen, aber Taya war doch erleichtert, es zu hören.
„Taya Ikara, ich weiß wirklich nicht, wie du es mit mir aushältst und warum, aber ich bin froh, dass du es tust.“
„Ihr werdet es mir schon vergelten.“ Taya stand mühevoll auf, wobei sie sich an seiner Hand festhielt. „Ihr könntet gleich anfangen, indem Ihr mir meinen Stuhl in die Eingangshalle tragt. Ich habe Lust, einem Uhrmacher bei der Arbeit zuzuschauen.“
Auch Cristof stand auf, ohne ihre Hand loszulassen, wobei er ihr ein trockenes, dankbares Lächeln zuwarf.
Die Vormittagssonne schien durch die vorderen Fenster des Vorzimmers. Cristof stellte Tayas Stuhl in einen breiten Fleck Sonnenlicht. Sie legte die Krücken ab und setzte sich hin, um ihm zuzusehen.
Sobald er sich seiner geliebten Arbeit widmen konnte, kehrte rasch auch der etwas nüchterne Humor des Erhabenen zurück. Er erklärte Taya jeden einzelnen Reparaturschritt und brachte ihr die schmutzigen Uhrwerkteile, die sie säubern und neu einölen sollte. „Das ist nur fair“, bemerkte er trocken, als sie protestieren wollte. „Ich musste deinen Beruf erlernen, jetzt darfst du dich mit meinem befassen.“ Taya beschwerte sich ausführlich über den Dreck, den seine Arbeit ihr bescherte, aber eigentlich nur, um ihm eine Freude zu bereiten.
Cristof beim Uhrenreparieren zu beobachten bot Taya Zeit und Gelegenheit, ihn sich genau anzusehen. Sie freute sich über die Zufriedenheit, die sich auf seinem Gesicht breitmachte, wenn er eine ausgeleierte Feder ersetzte oder ein Zahnrad polierte, bis es wieder in mattem Glanz erstrahlte. Er hatte seinen Mantel abgelegt und die Hemdsärmel aufgekrempelt – nur das Kastenzeichen auf seinen Kupferwangen ließ noch erahnen, dass er etwas anderes war als ein normaler Handwerker. Die scharfen Kanten und Falten seines Gesichts waren ihr inzwischen sehr vertraut, und der kleine Fleck Öl auf seiner Nase, dort, wo er beim Arbeiten ständig die Brille hochschob, ließ sie schmunzeln.
Nachdenklich an ihrer Unterlippe kauend, betrachtete Taya die ölverschmierten Finger, die geschickt ein Zahnrad neu ausrichteten. Sie musste an ihren ersten und bislang einzigen Kuss oben neben dem Oporphyrturm denken.
„Jeder andere wäre heute morgen hereingekommen und hätte mich mit einem Kuss begrüßt“, sinnierte sie. „Alister hätte das gewiss getan ...“ Den
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