Das mechanische Herz
letzten Gedanken schob sie rasch wieder beiseite. Natürlich hätte Alister sie mit einem Kuss begrüßt, aber dieser Kuss hätte nichts bedeutet.
Warum hatte Cristof es nicht getan? Lag es an seiner Unbeholfenheit anderen Menschen gegenüber oder fing er schon an, sich von ihr zu distanzieren? In Vorbereitung auf seine Rückkehr nach Primus?
Sie biss sich so hart auf die Lippen, dass sie unwillkürlich zusammenzuckte und sich aufrecht hinsetzte. „Der soll bloß nicht wagen, auf Distanz zu gehen! Wo ich gerade anfange, ihn gern zu haben.“
Endlich war es soweit: Cristof säuberte sich die Hände an einem Lappen aus seinem Werkzeugbeutel, schloss das Uhrengehäuse und zog die alte Standuhr wieder auf. Beide, Taya und der Uhrmacher, schwiegen und lauschten dem lauten Ticken, das den Raum erfüllte. Kurz nach Mittag – die Reparatur hatte geschlagene zwei Stunden gedauert. Wahrscheinlich, dachte Taya, wäre es schneller gegangen, hätte sie nicht danebengesessen und ihn mit Fragen und Witzen abgelenkt.
„Da fällt mir ein: Ich habe ja immer noch Eure Taschenuhr!“, sagte sie. „Sie liegt oben.“
Cristof warf ihr einen raschen Seitenblick zu, nur um den Blick sofort wieder abzuwenden.
„Die kannst du behalten“, sagte er schroff. „Noch eine Weile, meine ich. Bis ich etwas Besseres für dich gefunden habe.“
„Das braucht Ihr nicht!“, protestierte sie. „Wo dieser Chronometer wieder die richtige Zeit anzeigt ...“
„Das geht schon in Ordnung. Chronometer habe ich ja genug.“
„Ich ...“ Taya klappte den Mund zu. Was sollte das? Warum widersprach sie, wenn er versuchte, etwas Nettes zu tun? So ging es nicht, sie sollte ihn im Gegenteil eher ermutigen. „Danke. Ich weiß das zu schätzen.“
Er kniete auf dem Boden und packte seinen Werkzeugbeutel zusammen.
„Ich hoffe, es schnell auf ‚selten ‘ zu bringen.“
„Was? Ach, Ihr habt Hintergedanken, was?“ Taya lachte – Cristofs trockener, mit völlig unbewegter Miene vorgebrachter Humor verblüffte sie immer wieder. „Dabei hattet Ihr mir doch fest versprochen, dass so etwas bei Euch nicht vorkommt.“
„Von ‚verborgen ‘ kann ja kaum die Rede sein“, erwiderte er. „Meine Ziele liegen auf der Hand. Ich möchte als ‚lieb ‘ bezeichnet werden und nicht als ‚nervig bis in die Schwanzspitzen ‘ .“
„Ach ja?“
„Nun ...“ Er sah auf. „Vielleicht nicht gerade in der Öffentlichkeit.“
„Gebt mir genügend Gründe, und ich sehe mich vielleicht dazu imstande, das Wort nur im Privatgespräch zu verwenden.“ Taya sah ihm fest in die Augen, woraufhin Cristof prompt errötete. Er wandte den Blick ab und schnappte sich ein paar ölverschmierte Lappen, um sie in seinen Beutel zu stopfen.
Taya stand auf, nahm sich eine der Krücken und humpelte zu ihm hinüber, wo sie sich mit der Hand auf seiner Schulter abstützte, um ihm einen raschen Kuss auf die Wange zu drücken. „Es tut mir leid!“, sagte sie, wobei sie sich allerdings nicht so anhörte, als würde ihr irgend etwas leid tun. „Ich darf Euch nicht immer so aufziehen.“
Mit ernsten Augen sah er zu ihr auf.
„Nein, das darfst du wirklich nicht, ich habe nämlich nicht viel Erfahrung damit, aufgezogen zu werden. Hinterher nehme ich deine Worte noch für bare Münze.“
Taya spürte, wie ein Ruck durch sie ging, als er ihrem Blick begegnete und ihr nun ebenfalls fest in die Augen sah. Unwillkürlich packten ihre Finger fester zu, krallten sich um seine Schulter. Sie beugte sich vor, und er strich ihr mit der Hand über die Wange.
Einen Augenblick lang tauchten ihre Blicke ganz tief ineinander ein, zwischen ihnen, einem Versprechen gleich, das Verlangen nach einem zweiten Kuss.
Dann ertönte hinter ihnen ein Räuspern: Gwen.
Taya schreckte auf. Cristof musste halb aus der Hocke hochkommen und sie bei den Armen packen, sonst wäre sie umgefallen. Beide warfen der Hauswirtin schuldbewusste Blicke zu.
Die hatte die kräftigen Arme vor der Brust verschränkt und musterte sie kritisch.
„Wenn Ihr hier fertig seid, Meister Uhrmacher, gehe ich meine Börse holen“, sagte sie, sichtlich zufrieden mit ihrer Intervention. „Ich erwarte eine Quittung.“
„Jetzt sollte ich ihr vielleicht wirklich etwas berechnen!“, murrte Cristof, der nachsah, ob Taya auch fest auf den Beinen stand, ehe er sich erhob und sich den Staub von der Hose putzte. Lauter fügte er hinzu: „Ich dachte, du wolltest uns allein lassen, wenn ich dir deinen Chronometer kostenlos
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