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Das mechanische Herz

Das mechanische Herz

Titel: Das mechanische Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dru Pagliassotti
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den Rücken hinunterlief. Auch die Finger, mit denen der Erhabene ihre Blessur abtastete, waren kalt.
    „Du hast recht, der Schnitt ist nicht tief. Geh aber lieber morgen zum Arzt. Heute kannst du so nach Hause fliegen, glaube ich.“ Cristofs Stimme klang rational und unbeteiligt – ebenso hatte sie geklungen, als er seinen Kommentar zum Zustand ihrer Flügel abgab. Was hatte der Dekatur doch noch über seinen Gast zu erzählen gewusst? Er sei im Umgang mit Maschinen geschickter als in dem mit Menschen? Taya musste ein Lächeln unterdrücken. Welch treffende Beobachtung: Auch diesmal wieder hatte der Uhrmacher erst für ihr Fluggerät gesorgt und dann für ihre Wunden. Sie stellte sich vor, wie der Erhabene seine kaputten Uhren mit derselben Sorgfalt und Leidenschaftslosigkeit berührte wie ihre bloße Schulter.
    Cristof legte das feuchte, blutverschmierte Handtuch auf den Tisch und ersetzte es durch ein sauberes. „Das dürfte reichen. Mit diesem Verband kommst du zum Horst zurück, ohne dass die Wunde weiter aufreißt.“
    „Danke.“ Hastig knöpfte sich Taya den Anzug zu und griff nach ihren Flügeln.
    „Warte noch ein paar Minuten. Gib den Kratzern an deiner Hand die Chance, den ersten Grind zu bilden.“ Cristof schob seine Brille zurecht und wandte sich ab. „Möchtest du sehen, wie sie fliegen?“
    Überrascht betrachtete Taya seinen Rücken – der plötzliche Themenwechsel war ihr schleierhaft. Bis ihr die Vögel wieder einfielen.
    „Bitte! Wenn es Euch nichts ausmacht!“
    Cristof band einen der Vögel los und barg ihn sorgsam in der Hand, während er sich wieder zu Taya umdrehte. Als er sich vorbeugte, um das Spielzeug aufzuziehen, brach sich das Lampenlicht in seinen Brillengläsern.
    „Meine Mutter schenkte sie mir und meinem Bruder, als wir noch klein waren.“ Cristof hielt den Vogel mit beiden Händen hoch, ehe er ihn freigab.
    Sofort setzten sich die winzigen, mechanischen Flügelchen surrend in Bewegung. Pfeilgerade schoss der Vogel durchs Zimmer, bis er an die gegenüberliegende Wand prallte, wo er, immer noch wild mit den Flügeln schlagend, verharrte.
    Cristof ging zu ihm hin und drehte ihn sanft mit dem Finger um, woraufhin das kleine Kunstwerk munter die nächste Wand ansteuerte, um dort abermals abrupt nicht mehr weiterzuwissen.
    „Man muss sie draußen fliegen lassen“, meinte der Uhrmacher. „Oder in einem langen, langen Flur, vorzugsweise mit einem ahnungslosen Erwachsenen am anderen Ende.“
    Taya lachte, woraufhin sich selbst Cristofs dünne Lippen eine Sekunde lang leicht kräuselten. Er holte den Vogel zurück, dessen Flügel nun langsamer schlugen, dessen Körper das Ondium aber immer in der Luft hielt.
    „Den hat mein Bruder demoliert und weggeworfen. Ich beschloss, ihn für ihn zu reparieren. Es hat Jahre gedauert, bis ich wusste, wie. Aber jetzt fliegt er so frisch und munter wie eh und je.“ In den farblosen Augen, deren Blick zärtlich auf dem winzigen Mechanismus ruhte, glomm fast ein wenig Stolz auf. „So etwas wird heute nicht mehr hergestellt. Jetzt, da die großen Vorkommen erschöpft sind, gilt Ondium in Kinderspielzeug als zu extravagant.“
    „Ich finde sie einfach wunderbar.“ Taya strahlte. „Habt Ihr Eurem Bruder den Vogel je zurückgegeben?“
    „Nein. Als ich ihn repariert hatte, war er längst an anderem Spielzeug interessiert und wollte ihn nicht mehr.“
    „Ach! Wie schade.“
    „Das ist typisch für ihn.“ Cristof band den Vogel wieder am Regal fest. „Alister begeistert sich für ein Spielzeug, bis es ihn enttäuscht, und dann wirft er es weg.“ Das klang fast bitter.
    „Alister?“ Taya dachte angestrengt nach. Hatte sie den Namen nicht schon einmal gehört, aus Cristofs Mund? „Ihr wollt doch nicht etwa ...“ Aber natürlich wollte er, jetzt wurde so vieles klar! „Dekatur Forlore ist Euer Bruder?“
    „Ich dachte, das wüsstest du.“
    „Nein, wusste ich nicht.“ Taya dachte einen Moment nach, ehe sie fortfuhr: „Wenn er Euer Bruder ist – warum lebt Ihr dann hier unten?“
    „Wie meinst du das?“
    „Na ja, er ist Dekatur und verkehrt noch mit Euch. Warum sorgt er dann nicht dafür, dass Ihr nach Primus zurückkehren dürft?“
    „Ich habe kein Interesse daran, nach Primus zurückzukehren.“ Cristofs Stimme klang kalt und abweisend, was Taya nicht daran hinderte, weiter nachzubohren.
    „Aber Ihr wollt doch wohl auch kein Verstoßener sein, oder?“
    Mit wutverzerrtem Gesicht schlug Cristof die flache Hand auf den

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