Das mechanische Herz
sämtliche Horste.“
„Es wird ein Dankesschreiben sein.“ Taya wischte ein Buttermesser an ihrer Serviette sauber, das sie unter das Siegel schob. Etwas so Schönes, Kunstvolles mochte sie ungern zerstören.
Der Brief war in drei verschiedenen Farben auf feinstem Pergament abgefasst. Schwarz für den Text, Rot für die Eigennamen und Gold für jeden Großbuchstaben. Mit weit aufgerissenen Augen beugte sich Cassi über Tayas Schulter. Keine der beiden Frauen hatte je einen so reichverzierten Text zu Gesicht bekommen.
„Muss ja nett sein, soviel Zeit auf einen einzigen Brief verwenden zu können“, bemerkte Pyke spöttisch, woraufhin ihm Cassi den Ellbogen in die Rippen bohrte. „Tut mir leid, tut mir leid!“ entschuldigte er sich hastig. „Natürlich brauchte die Erhabeneüberhaupt keine Zeit darauf zu verwenden! Irgend so ein armer Schlucker, ein ihr treu ergebener Sekretär, wird die ganze Arbeit getan haben.“
„An Taya Ikara: Grüße“, las Taya den Freunden laut vor. Im übrigen Speisesaal breitete sich erwartungsvolles Schweigen aus. Selbst der Küchenchef stand in der Türöffnung, einen gerade abgetrockneten Teller in der Hand. „Um unseren Dank für die tapfere Errettung der Erhabenen Viera Octavus und des Erhabenen Ariq Octavus zum Ausdruck zu bringen und um zu feiern, dass die große Gefahr glücklich überstanden ist, möchten wir dich als Ehrengast zu einem Festbankett und Ball im Hause Octavus laden.“
Die anderen Ikarier im Raum klatschten enthusiastisch Beifall. Taya wurde knallrot. „Oh, Schrott – was soll ich bloß anziehen?“
Pyke stöhnte.
„Ich kann es nicht fassen: Was anderes fällt dir nicht ein?“, bemerkte er angewidert. „Wie wäre es mit einer kleinen Rechenaufgabe? Vergleiche den Wert eines Abendessens mit anschließendem Tanz mit dem Wert, den das Leben einer Frau und eines Kindes darstellen! Ganz zu schweigen von deinem eigenen Leben, das ja schließlich auch auf dem Spiel stand.“
„Was für einen Dank würdest dudenn erwarten?“, fuhr Cassi ihn an.
„Einen Beutel Goldmasken“, entgegnete Pyke prompt. „Fünfhundert, vielleicht tausend. Etwas Nützliches . Im Übrigen stelle ich fest, dass die Erhabene mich in ihrer Einladung nicht erwähnt.“
„Pyke, du magst ja liebenswert sein, aber irgendwie bist du auch ganz schön oberflächlich.“ Cassi verdrehte die Augen. „Prestige kann wesentlich nützlicher sein als Gold.“
„Aber sicher doch – das wollen sie uns weismachen, damit halten sie uns immer hübsch bei der Stange. Aber mit Prestige stellst du kein Heer auf! Arme Leute, Prestige hin oder her, können sich eine Revolution schlichtweg nicht leisten, so einfach ist das mit dir und deinem Prestige.“
„Cassi!“ Taya hatte nicht zugehört, war sie doch in Gedanken gerade ihre Garderobe durchgegangen. Mit furchtbarem Ergebnis. Sie war eine Ikarierin, um der Herrin Willen! Sie besaß keine schicken Gewänder. „Kann ich meine Flugausrüstung tragen? Bitte sag mir, ich kann da in meinen Flügeln hin.“
„Du kannst da nicht in deinen Flügeln hin“, verkündete Cassi entschieden. „Nicht als Ehrengast. Wann soll die Feier stattfinden?“
„In drei Tagen.“
„Kein Problem. Pyke, sag in der Zentrale Bescheid, dass Taya und ich uns heute freinehmen.“
„Warum? Um Klamotten kaufen zu gehen? Das wird dem Chef aber gefallen!“
„Es wird ihm gefallen müssen, wenn er möchte, dass unsere Kaste bei den Erhabenen gut repräsentiert wird“, entgegnete Cassi ungerührt.
„Ich sage ihm Bescheid“, warf vom Nebentisch her ein anderer Ikarier ein. „Keine Sorge, es macht schon niemand einen Aufstand. Taya hat einen freien Tag verdient.“
„Danke!“ Taya kaute an ihrer Unterlippe, während sie den Brief noch einmal las. Gewänder! Sie verschwendete nie irgendwelche Gedanken an Gewänder. Aber im diplomatischen Dienst würde sie angemessene Bekleidung tragen müssen, oder? Warum hatte sie nicht schon früher daran gedacht? Oh, Herrin, sie musste lernen, schicke Kleider zu tragen!
Cassi schleppte sie aus dem Esszimmer und die drei Treppen in ihr Schlafzimmer hinauf, wo Taya die kostbare Einladung hoch oben auf ihrem Bücherregal ausstellte. Rasch zog sie die Stiefel an, die sie trug, wenn sie nicht in der Luft unterwegs war, hüllte sich in einen abgetragenen Mantel, dessen stilisierte Feder am Revers sie auch am Boden als Ikarierin auswies, und steckte die schmale Lederbörse ein, die ihre Papiere enthielt. Währenddessen
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