Das mechanische Herz
durchwühlte Cassi kopfschüttelnd ihren Kleiderschrank.
„Wie kannst du nur zwei Kleider und ein einziges Paar gute Schuhe besitzen? Gehst du denn nie aus?“
„Aber und ob ich ausgehe – in meinem Fliegeranzug.“ Taya kramte ihr Sparbuch hervor. Sie sparte von ihrem kargen Lohn, soviel sie konnte; ein festliches Gewand würde sie um Monate zurückwerfen.
Vielleicht borgte ihr jemand ein Ballkleid. Oder – verliehen die Theater Kleider aus ihrem Fundus?
„Hat Pyke dich nie irgendwohin mitgenommen, wo es ein bisschen netter war?“, quengelte Cassi.
„Wohin denn? Auf eines seiner konspirativen Treffen? Wir sind die meiste Zeit zu Hause geblieben und haben uns unterhalten.“
Ihre Freundin schnalzte missbilligend mit der Zunge, wobei sie etwas von Grips, Bizeps und Verschwendung – oder Zumutung? – murmelte. Dann schlug sie energisch die Schranktür zu.
„Vergiss es, deine Kleidersammlung ist hoffnungslos. Wir fangen also sozusagen bei Null an.“
„Meinst du, ich finde auf dem großen Markt etwas?“
„Ein Gewand von der Stange für den Ball bei einer Erhabenen? Wenn ich dich so ansehe, überkommt mich nackte Verzweiflung. Was ist bloß aus uns Frauen geworden?“ Cassi packte die Freundin bei der Hand und zog sie hinter sich her in ihr eigenes Zimmer, wo sie sich eine dicke Joppe anzog und ihre Handtasche schnappte. „Mach dir keine Sorgen“, beruhigte sie Taya. „Wir haben eine Geheimwaffe. Mein Neffe ist gerade mit seiner Lehre fertig und hat sich mit einem eigenen Modegeschäft selbständig gemacht. Warte, bis du seine Sachen siehst! Der Mann ist ein Genie.“
„Ein maßgeschneidertes Gewand kann ich mir aber gar nicht leisten.“
„Stell dich nicht blöd. Du gehst als Ehrengast auf einen Erhabenenball. Er sollte dichdafür bezahlen, dass du eine seiner Kreationen trägst.“ Nun verstand Taya gar nichts mehr. Gehorsam folgte sie Cassi, die ununterbrochen plappernd die Treppe hinunterstürzte. „Das könnte genau der Durchbruch werden, den Jayce jetzt so dringend braucht. Komm schon, der Junge arbeitet flink wie der Wind, aber drei Tage sind wirklich keine lange Zeit, und wir haben eine Menge zu tun.“
***
Cassis Neffe hatte in einer respektablen Straße von Sekundus einen winzigen Laden gemietet. Cassi brauchte ihm nur zu erklären, in welcher Zwickmühle ihre Freundin steckte, damit er kurz entschlossen alle Termine absagte und eine kleine Armee aus Freunden und Geschäftspartnern zusammentrommelte, die ihn unterstützen sollte. Anfangs fragte sich Taya besorgt, ob es wirklich so klug war, sich in die Hände eines zwanzig Jahre alten milchgesichtigen Enthusiasten zu begeben, aber nachdem sie sich eine Stunde lang Jayces Entwürfe angesehen und den Befehlen gelauscht hatte, die er mit Feuereifer in sämtliche Richtungen austeilte, ergab sie sich in ihr Schicksal und seine künstlerischen Visionen und ließ ihn einfach machen.
Nach etwa einer Stunde brach Cassi auf, um sich auf die Jagd nach Schmuck und Schuhen zu begeben.
„Ich kann mir keinen Schmuck leisten“, schrie Taya auf, als ihre beste Freundin durch die Tür zu entschwinden drohte.
„Keine Sorge, sie borgt sich welchen.“ Jayce schlang Taya ein Maßband um die Brust, woraufhin sie zusammenzuckte. „Steh gerade! Hier oben darf das Kleid ja nun wirklich nicht hängen wie ein Sack!“
Taya richtete sich kerzengerade auf.
„Ihr Ikarier, ihr Ikarier“, murmelte Jayce. „Ich fasse es nicht! Hübsch schmal seid ihr, das muss man euch lassen, aber Brüste? Fehlanzeige – und eure Beine sind zu kurz. Mit den Schultern werde ich mir auch was einfallen lassen müssen.“
„Was stimmt denn mit meinen Schultern nicht?“, protestierte Taya. „Außer der Wunde, meine ich.“
„Eine Wunde hast du auch? Wie schlimm?“ Ehe Taya sich wehren konnte, hatte der Couturier ihr Hemd hochgezogen und stöhnte entnervt. „Noch nicht mal verbunden! Darf das denn wahr sein? Willst du eine Narbe zurückbehalten? Schon gut, schon gut, das kriegen wir hin. Ist ohnehin zu kalt für nackte Schultern. Besonders für solche wie deine.“
„Was stimmt nicht mit meinen Schultern?“ Jetzt wollte Taya es wirklich wissen.
„Muskeln sind so undamenhaft!“ Stirnrunzelnd ließ Jayce den Bleistift über ein Stück Papier eilen. „Ich komme mir vor, als müsste ich einen Jungen einkleiden. Du kannst von Glück sagen, dass ich schon für Cassi gearbeitet habe. Ich kenne da inzwischen ein paar Tricks.“
„Ich bin kein Junge, und mein
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