Das mechanische Herz
wieder fliegen.“ Neugierig musterte Taya Alisters Taschenuhr. „Hat Euer Bruder die gemacht?“
„Ja.“ Er löste die Kette und reichte ihr die Uhr über den Tisch.
Auch hier war das Gehäuse aus Gold, aber ganz und gar nicht schlicht wie bei der Uhr des Uhrmachers, sondern mit einer Darstellung von Sonne und Mond verziert, eine feine Intarsienarbeit aus rotem und weißem Metall. Vorsichtig klappte Taya das Gehäuse auf, wie Cristof es ihr erklärt hatte. Das Zifferblatt zeigte eine glänzende schwarze Oberfläche, und auch hier griff ein zierlicher Schmuck aus Silber und Gold das Motiv von Sonne und Mond wieder auf. Dazu markierten, zwinkernden kleinen Sternen gleich, Diamantsplitter die einzelnen Stunden.
Das Gefühl in ihrer Hand war genau so wie bei Cristofs Uhr: das stete Klopfen eines winzigen Herzens.
„Habt Ihr das Design ausgesucht?“ Taya sah auf.
„Mehr oder weniger. Cris sagte, er würde mir zum Universitätsabschluss einen Chronometer bauen, und fragte mich, wie er denn aussehen sollte. Ich bat um eine Sonne auf dem Gehäuse, daraufhin hat er dem Goldschmied diesen Entwurf überreicht. Außen wurde mit Platin und Rotgold gearbeitet, innen mit Ondium und einer Eisenlegierung. Die Herrin mag wissen, wie er an das Ondium gekommen ist, ich habe ihn nicht gefragt. Höchstwahrscheinlich stammt es vom Schwarzmarkt. Er behauptet, das Zifferblatt wäre perfekt austariert – wenn ich es je aus der Uhr nähme, würde es im Raum schweben, ohne sich zu bewegen.“
„Wie wunderschön!“
„Der Chronometer wird ihn ein Vermögen gekostet haben. Da er aber sein Erbe nur höchst selten anrührt, haben sich unsere Buchhalter wohl nicht allzusehr beschwert.“
„Er muss Euch sehr liebhaben, wenn er Euch solche Geschenke macht.“ Taya gab die Uhr zurück.
„Wir sind Brüder.“ Mit nachdenklicher Miene schob Alister den kostbaren Chronometer wieder in den Ärmel. „Nimmst du es mir sehr übel, wenn ich dich nicht zur Kutsche begleite? Ich müsste extra die äußere Robe und die Maske anlegen und wäre dann noch nicht einmal imstande, richtig auf Wiedersehen zu sagen.“
„Das verstehe ich.“ Taya verbeugte sich, die Handfläche an der Stirn. „Vielen Dank für das wunderbare Essen und die angenehme Unterhaltung, Erhabener. Ihr wart sehr freundlich zu mir.“
Als sie sich aufrichtete, ergriff er ihre Hand, um sie lächelnd an die Lippen zu heben. Freudestrahlende grüne Augen funkelten Taya an, während der Erhabene ihre Finger küsste. Unwillkürlich wich sie ein wenig zurück, nur um unter der Wärme und Leichtigkeit seines Blicks fast dahinzuschmelzen.
„Das hätte ich mit einer Maske vor dem Gesicht und in all den vielen Gewändern auch nicht tun können!“, flüsterte Alister mit einem letzten Händedruck.
„Ihr macht es uns sehr schwer, einander im Oporphyrturm unbefangen zu begegnen.“ Tayas Herz klopfte wie wild.
„Ich weiß durchaus, wie man jemanden aus der Ferne bewundert. Es bereitet mir nur keine Befriedigung.“ Widerstrebend gab er ihre Hand frei. „Ich habe vor, dich wiederzusehen. Noch vor dem Fest meiner Cousine, wenn ich Zeit freischaufeln kann.“
„Das fände ich schön.“ Taya trat zurück. „Gute Nacht, Erhabener.“
„Alister.“
„Gute Nacht, Alister.“
Er rief seine Zofe, die Taya durch das Vorzimmer und zur Vordertür hinaus begleitete. Draußen wartete schon Gregor, der gerade die letzten Schlucke aus einem Krug Bier leerte. Sobald er Taya sah, gab er der Zofe den Krug zurück.
„Hat es geschmeckt?“, wollte er wissen, indem er die Kutschentür öffnete. Seufzend warf Taya einen Blick ins Kutscheninnere.
„Ausgezeichnet. Zu gut, fürchte ich. Ich glaube, ich ertrage es nicht, mich in diesem engen, stickigen Kasten durchrütteln zu lassen. Darf ich zu dir auf den Bock steigen?“
„Der Erhabene reißt mir den Kopf ab, wenn ihm das zu Ohren kommt.“
„Sei nicht albern.“ Taya betrachtete kritisch die Droschke, überlegte sich, wo sie am besten hinaufklettern konnte. „Bitte? Ich setze mich sonst oben auf das Dach. Oder ich laufe!“
Seufzend gab Gregor nach, klappte die Tür zu und half ihr auf den Kutschbock.
***
Am nächsten Morgen durfte Taya hocherfreut feststellen, dass ihre Flügel repariert waren und sie sich zur Arbeit zurückmelden konnte. Zum Oporphyrturm führte sie keiner ihrer Botenflüge, aber Alister ließ ihr eine Nachricht ins Verteilerbüro übermitteln, in der er sich für einen wunderbaren Abend bedankte und
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