Das mechanische Herz
drei sahen zu dem Ikarier hinüber, der in den Türrahmen getreten war. Die anderen Ikarier im Saal hoben wie ein Mann die Hand und deuteten in Tayas Richtung.
Hastig führte Taya den Fremden, der die Insignien eines Militärkorps am Fliegeranzug trug, aus dem Zimmer. Natürlich war es ein militärischer Bote – Kurierboten flogen nach Dunkelwerden nicht mehr, es sei denn, sie wurden auf einem Botenflug von der Dunkelheit überrascht oder es handelte sich um einen Notfall. Notfall!
„Mein Vater?“, fragte Taya angsterfüllt. „Ist etwas mit meiner Familie?“
„Nicht, dass ich wüsste.“ Der Ikarier übergab ihr einen Brief. „Bist du die Ikarierin, die die Erhabene Octavus gerettet hat?“
„Ja.“ Taya faltete das Pergament auseinander und stieß einen Seufzer der Erleichterung aus: Die Nachricht stammte von Leutnant Amcathra. Einer der Ärzte in Tertius hatte einen verletzten Demikaner gemeldet, den die Liktoren auch gleich verhaftet hatten, bestand doch der Verdacht, dass er an dem Überfall auf Taya beteiligt gewesen war. Der Leutnant forderte Taya auf, den Verhafteten zu identifizieren.
„Da hast du ganze Arbeit geleistet“, meinte der andere Ikarier, auf die Rettungsaktion bei der Drahtfähre bezogen. „Hast du je daran gedacht, dich dem Militär anzuschließen? Den Mumm dafür hättest du.“
„Ich habe gerade die Prüfungen für den diplomatischen Dienst abgelegt. Als du reinkamst, hoffte ich schon, du bringst mir die Ergebnisse.“
„Die werden in die zentrale Verteilerstelle geliefert. Diplomatie, ja? Schade. Denk an uns, wenn nichts daraus wird. Dann brauchst du diesen ganzen Kulturkram nicht zu pauken, und eine talentierte Fliegerin wie dich können wir jederzeit gut gebrauchen.“
„Danke.“ Taya nickte, wobei sie allerdings bezweifelte, eine Arbeit annehmen zu können, bei der die Gefahr bestand, jemanden ermorden zu müssen. Allein der Anblick von Amcathras Botschaft hatte in ihr wieder die heftigsten Schuldgefühle erweckt. „Möchte der Liktor, dass ich jetzt gleich zu ihm komme?“
„Natürlich möchte er das. Er wartet in der Zählfeldwache. Willst du zu Fuß gehen oder soll ich dir deine Flügel holen?“
„Bis die bei den Landebahnen dir meine Flügel aushändigen, bin ich längst zu Fuß da“, antwortete Taya mit leisem Bedauern. „Sag dem Leutnant, ich sei unterwegs. Haben die Liktoren den Mann in ihrem Gewahrsam?“
„Ich weiß nicht.“ Der Mann zuckte die Achseln. „Geht mich auch nichts an.“
„Oh! Na ja, sicheren Flug.“
„Dir auch.“ Mit einem heiteren Winken duckte sich der Mann durch die Tür. Taya teilte ihren Freunden mit, wohin sie unterwegs war, ehe sie in ihr Zimmer lief, um sich Mantel und Handschuhe zu holen.
Der Fußweg die Klippenstraße hinab war lang und kalt, aber in Sekundus herrschte jetzt am frühen Abend noch reges Leben auf den Straßen. Überall waren Menschen unterwegs, auf dem Weg ins Theater, ins Wirtshaus oder zu Freunden. Nach einer halben Stunde erreichte Taya den Zählfeldplatz, wo in der Wache der Liktoren hell die Gaslaternen brannten. Auch hier herrschte ein geschäftiges Kommen und Gehen.
Einen Augenblick lang stand sie blinzelnd im Eingangsflur und streifte sich die Handschuhe von den Händen.
„Ikarierin.“ Amcathra trat aus einem der Arbeitsräume. Er winkte sie zu sich. „Gut, dass du so schnell kommen konntest. Du musst dir den Gefangenen ansehen und mir sagen, ob er der Mann ist, der dich vorgestern überfallen hat.“
„Ist er hier?“
„Er liegt in einem Siechenhaus nicht weit von hier entfernt. Sein Gesundheitszustand ist nicht gut, sonst hätten wir ihn wohl gar nicht gefunden.“ Der Liktor schnappte sich seinen Mantel, der auf einem der Stühle im Eingangsbereich lag, und zog ihn sich schon im Gehen über.
„Wie schlimm steht es um ihn?“
„Nicht gut.“
„Oh. Bist du für den Fall zuständig? Ich dachte, du würdest den Unfall der Drahtfähre untersuchen.“
„Das läuft auch noch.“
„Dann bist du wohl der Liktor, der immer die schwierigen Fälle aufs Auge gedrückt bekommt!“ Taya musste sich beeilen, um mit dem Leutnant Schritt zu halten. Ihre Bemerkung hatte scherzhaft sein sollen, aber die schwarzen Liktorenstreifen und die undurchdringliche Miene ihres Begleiters ließen nicht ahnen, ob der Witz angekommen war. Eine Antwort bekam sie jedenfalls nicht.
Taya zuckte die Achseln. Amcathra wollte sich anscheinend nicht in ein Gespräch verwickeln lassen. Auch gut – so konnte sie
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