Das mechanische Herz
sie sich hinkauerte, den Umhang fest um sich schlang und sich auf eine längere Wartezeit einrichtete.
Sie hatte sich für ihr Vorhaben eine Stunde zugestanden. Dann wollte sie sich bei der Verteilerstelle zurückmelden und die versäumte Arbeitszeit am Abend ausgleichen, indem sie eine Stunde länger arbeitete.
Eine halbe Stunde später stieg ein Mann die Stufen zu Cristofs Laden hinab. Taya konnte sein Gesicht nicht erkennen, aber nur wenige Minuten nach der Ankunft des Besuchers verließ Cristof mit dem Fremden zusammen eilig sein Geschäft, wobei er sich noch im Gehen den Mantel überzog. Die Miene des Erhabenen wirkte wie üblich streng und verschlossen.
Taya wartete, bis die beiden um die nächste Ecke verschwunden waren, ehe sie zur Ladentür huschte.
Die Qualität der Schlösser in Tertius hatte sich, seit Taya hier unten ein kleines Mädchen gewesen war, nicht sichtlich gebessert. Der lose Türrahmen wackelte, als sie am Türgriff rüttelte, und sie durfte feststellen, dass nur der rücksichtslose Einsatz ihres Messers vonnöten war, um das Schloss aufzubrechen. Zufrieden stieß sie die Tür auf. Natürlich würde Cristof merken, dass man ihm das Schloss geknackt hatte, aber Einbrüche gehörten in Tertius nun mal zum Alltag.
Im schwach beleuchteten Laden herrschte auch jetzt wieder reges Sirren und Klicken. Ohne groß nachzudenken, wandte sich Taya Cristofs Sekretär zu, um die Papiere zu durchsuchen.
Pläne gab es hier zuhauf, aber sie sahen alle eher wie Diagramme für Uhrwerke aus. Keiner von ihnen stellte sich Tayas ungeübtem Auge auf den ersten Blick als Bastelanleitung für einen Sprengkörper dar. Sie machte sich über die Schubladen her, ohne recht zu wissen, wonach sie suchte. Eine zerrissene Lochkarte? Ein halbfertiger Sprengkörper? Fehlanzeige – außer Werkzeug und Einzelteilen zerlegter Uhren fand sie hier nichts.
Als nächstes schaute sie sich den Aktenschrank an: Rechnungen, Quittungen, Arbeitsaufträge. Cristofs Ablagesystem war so ordentlich wie das seines Bruders chaotisch; selbst seine Handschrift war sauber und leserlich, jeder einzelne winzige Buchstabe gestochen scharf. Der Uhrmacher hatte die Wahrheit gesagt: Die meisten Aufträge bekam er von Kunden in Primus oder Sekundus.
Kurz entschlossen trat sie durch den Vorhang, der Cristofs Werkstatt von seinem Wohnbereich trennte. Ein karger Raum, fast schon mönchisch in seiner Einfachheit: Bücherregale, ein Schrank, ein schmales, sorgsam gemachtes Bett. Als einziger Schmuck zierte ein Bildnis der Herrin der Schmiede eine der weißgekalkten Wände.
Taya öffnete die Schranktür und zog eine Grimasse. Hier war alles schwarz. Schwarz, schwarz, schwarz – und da fand Cassi, Tayas Garderobe sei prunklos? Der Erhabene hatte ja überhaupt keine Phantasie! Doch – ganz hinten schimmerte ein heller Fleck. Neugierig schob Taya die düsteren Anzüge und Mäntel beiseite. Welche Geheimnisse versteckte Cristof da in den Tiefen seines Schrankes?
„Oh!“ Der Anblick ließ sie erstarren.
Vor ihr hing, zerknittert und einen feinen Modergeruch verströmend, die Robe eines Erhabenen. Die Edelsteine hatten ihren Glanz eingebüßt, matt schimmerten sie im Dämmerlicht des Zimmers, und die Gold- und Silberfäden der kunstvollen Stickereien waren vom Alter ganz dunkel geworden. Auch eine Maske aus Ebenholz baumelte am Bügel, der das Gewand trug. Vorsichtig streckte Taya die Hand danach aus: Auf dem glatten Oval hatte sich körniger Staub abgesetzt.
Die Robe roch nach alten Geheimnissen und starken Gefühlen, nach etwas Verborgenem, Besudeltem, das Cristof dennoch nicht hatte fortwerfen mögen.
Nach Schuld?
Hastig rückte Taya die Anzüge wieder zurecht, bis sie die Robe verdeckten, und schloss die Schranktür. Bislang war ihr nichts ins Auge gefallen, womit sie ihr Eindringen hätte rechtfertigen können. Das war eine Erleichterung, wusste sie doch, dass Alister sehr glücklich sein würde, wenn es sich herausstellte, dass sie seinen Bruder zu Unrecht verdächtigt hatte. Andererseits hoffte Taya, ihre schlimmen Vermutungen würden sich irgendwie bestätigen. Wenn Cristof nichts zu verbergen hatte, dann blieb ihr wohl nichts anderes übrig, als den Mann demütig um Verzeihung zu bitten.
Erst als sie sich die Bücherregale genauer ansah, verspürte sie einen vagen Optimismus. Vielleicht lag sie doch richtig. Die meisten Bände beschäftigten sich zwar mit Chronometern und Uhrwerken, aber es standen auch noch andere Bücher im Regal, die sie
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