Das mechanische Herz
Grünmarkt, in Sekundus. Wir treffen uns dort in einer halben Stunde. Aber Achtung: Man wird uns beobachten.“
„Das ist mir egal.“
Er starrte sie lange und unverwandt an.
„Weißt du was?“, sagte er schließlich tonlos. „Mir auch.“
Kapitel 9
A ls Taya die Gaststätte betrat, wandten sich ihr von allen Seiten neugierige Gesichter zu. Sie musste die Flügel eng anlegen, um überhaupt durch die Tür zu kommen. Auf der Wache hatte sie, nachdem ihr die Liktoren den Flugapparat ausgehändigt hatten, lediglich den Kiel einrasten lassen. Die Geschirriemen waren nicht befestigt, sie hatte sie einfach hastig so unter das Geschirr gestopft, dass sie ihr nicht im Weg waren.
Sie entdeckte Cristof an einem Tisch ganz hinten im Schankraum und nahm sich einen Moment Zeit, die Flügel aufrecht einrasten zu lassen, um die anderen Gäste auf dem Weg zu ihm nicht zu stören oder gar zu verletzen. Die Spitzen ihrer metallenen Schwungfedern reichten so hoch, dass sie munter die Spinnweben von den Deckenbalken sammelten.
In sich zusammengesunken hing der Erhabene auf seinem Stuhl und starrte in ein hohes Bierglas, neben dem sanft vor sich hin tickend seine aufgeklappte Taschenuhr lag. Taya warf einen Blick auf das perlmutterne Zifferblatt. Die vereinbarte halbe Stunde war fast verstrichen, aber noch kam sie pünktlich. Die für die Rückgabe der Flügel nötigen Papiere auszufüllen und zu unterschreiben, hatte länger gedauert, als Cristof angenommen hatte.
Sie drehte sich einen Stuhl um und hockte sich rittlings darauf, die Arme über der Lehne verschränkt. „Können wir hier reden?“, fragte sie.
„In Allgemeinplätzen schon, aber Lass uns lieber nicht ins Detail gehen.“ Er streckte die Hand aus, klappte die Uhr zu und versenkte sie wieder in seiner Westentasche.
„Gut.“ Sie warf ihm einen abschätzenden Blick zu. „Was machen die Liktoren gerade?“
„In zwanzig Minuten geht die Sonne unter. Sie rufen die Suchtrupps und Reparaturarbeiter zurück und decken die Wagen mit den Gerätschaften ab.“ Cristof schwieg, als eine Kellnerin an den Tisch trat, einen Krug Bier in der Hand.
„Für Leute aus den Rettungsmannschaften geht das erste Bier heute aufs Haus“, sagte sie schroff, aber nicht unfreundlich.
„Viel habe ich nicht getan.“ Taya sah auf.
„Jede Hilfe zählt.“ Die Frau nickte, stellte den Krug ab und ging. Betroffen starrte Taya auf das Bier, sie hatte ein schlechtes Gewissen.
Andere hatten geschuftet, sie hatte sich verhaften lassen. Vielleicht hätte auch sie etwas Nützliches beitragen können.
„Sie wollen die Nacht abwarten und erst weiterarbeiten, wenn es wieder hell genug ist“, fuhr Cristof fort. „Der Turm wurde aus der Luft evakuiert. Soweit ich verstanden habe, hat sich ein Trupp Liktoren bereit erklärt, oben zu bleiben, um wenigstens eine rudimentäre Bewachung zu gewährleisten.“
Beim Gedanken an den kalten, dunklen Berg und die verstümmelten Leichenteile musste Taya die Augen schließen. Wölfe gab es keine mehr auf dem Ondiniumberg, die dauernden Bauarbeiten hatten sie vertrieben. Aber sobald die Sonne unterging, würden kleinere Raubtiere aus ihren Schlupflöchern kommen und sich über sämtliche Fleischbrocken hermachen, die sie zwischen den Felsen finden konnten.
Über die Überreste Alisters und Octavus ’ , die bislang nicht gefunden worden waren.
Taya drehte sich der Magen um. Hastig riss sie die Augen auf, griff nach dem Bierkrug und setzte ihn an den Mund. Das Bier rann ihr aus den Mundwinkeln, während sie es in dem verzweifelten Verlangen, die schrecklichen Bilder aus ihrem Kopf zu verbannen, hinunterstürzte.
Sie schüttelte sich, stellte den Krug ab und wischte sich über den Mund.
„Kennt Ihr irgendwelche Zerrissenen Karten?“, wollte sie wissen.
„Nur die, die bereits verhaftet sind.“ Cristof setzte sich aufrechter hin. „Sag mir, was du weißt. Sag mir, was Alister wusste.“
Taya referierte ihre Unterhaltung vom Morgen. Leicht fiel es ihr nicht, und sie musste sich immer wieder unterbrechen, um die Tränen hinunterzuschlucken. Sollte sie ihn auch über das neue Programm, das mechanische Herz, informieren, obwohl sie doch versprochen hatte, ihr Wissen für sich zu behalten? Aber wenn sie jetzt etwas verschwieg, wenn es jetzt noch Geheimnisse zwischen ihnen gab, würden Alisters Mörder vielleicht ungeschoren davonkommen. Schließlich umriss sie Alisters Pläne mit so wenigen Worten wie möglich, leise flüsternd, damit niemand der
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