Das mechanische Herz
setzte.
Auf den Straßen Secundus ’ wimmelte es von Fußgängern. Überall eilten Menschen von der Arbeit heim, die Mäntel fest um sich geschlungen, Pakete unter den Armen. Gaslaternen und hell erleuchtete Schaufenster sorgten dafür, dass nirgends Dunkelheit herrschte. Über ihnen erstreckten sich, wie es schien, die Lichter Primus ’ bis hoch zu den Sternen, und weiter unten breiteten sich die Lichter Tertius ’ aus, bis sie mit dem roten Schein der Brennöfen verschmolzen.
Taya musterte Cristof von der Seite. So schweigend, die Schultern hochgezogen, sah der große Mann in dem langen Mantel sehr unglücklich aus.
„Was meint Ihr? Wie reagieren die Liktoren, wenn sie herausfinden, dass Ihr den Tod Eures Bruders untersucht?“, fragte sie, um ihn abzulenken.
Cristof zuckte die Achseln.
„Sie werden mir drohen. Mich ein paar Tage in Haft nehmen. Mich aus dem Dienst entlassen, wenn sie es besonders krumm nehmen.“
„Das klingt ja nun nicht so, als würde es Euch groß Kopfzerbrechen bereiten.“
„Ich brauche den Job nicht. Das Geld aus meinem Erbe ist mehr als genug, und das Reparaturgeschäft läuft auch gut.“
„Warum habt Ihr Euer Erbe nicht zurückgegeben, als Ihr Euch von Eurer Kaste abgewandt habt?“
„Das Geld gehört mir“, fuhr Cristof sie an. „Meine Eltern starben lange bevor ich mich entschied, dass ich von Primus genug habe.“
Irgendwie schien er ständig das Gefühl zu haben, sich verteidigen zu müssen. Taya machte das langsam ärgerlich.
„Dann habt Ihr eigentlich unter dem Strich nicht mehr getan, als die Maske abzulegen und andere Kleider anzuziehen“, bemerkte sie spitz. „Ihr besitzt nach wie vor Euer Geld und Euren Titel und seid immer noch Teil der herrschenden Klasse, der Regierung.“
„Ja und?“
„Das nenne ich nicht gerade eine heldenhafte Rebellion.“ Cristof lachte – kurz und bitter.
„Du verwechselst mich da mit irgendwem, Taya. Ich bin weder Held noch Rebell.“
„Warum tut Ihr Euch das dann an?“ Sie deutete auf sein schlecht geschnittenes Haar und die Händlerkleidung.
„Das hat Alister auch nie begriffen.“
Taya holte tief Luft. Gut – sie durfte nicht vergessen, dass sie nicht allein unter Druck stand. Auch Cristof litt, Takt war angesagt. Sie schlug einen moderateren Ton an. „Vielleicht solltet Ihr es dann so erklären, dass man es versteht.“
Sie musste sich einen ganzen Straßenzug lang gedulden, ehe Cristof zu reden begann. Er sprach langsam und mit großen Pausen, sorgsam darauf bedacht, auch ja die richtigen Worte zu wählen.
„In den unteren Kasten gibt es Menschen, die meinen, Erhabene seien im Grunde nicht menschlich. Sie glauben, wir versteckten unter unseren Masken eine groteske Missbildung oder seien eigentlich Geister oder Dämonen. Dabei verstecken Erhabene nur eins: die Tatsache, dass sie eben auch nur ganz normale Menschen sind.“
Sie waren inzwischen in die breite, von Bäumen gesäumte Straße eingebogen, die hinauf zum großen Eisentor der Universität führte. Unter ihren Füßen raschelten rot und golden die trockenen Blätter, wurden vom Wind aufgewirbelt, warfen im Licht der Straßenlaternen bizarre Schatten.
„Die Herrin gewährt uns unzählige Wiedergeburten, eine ganze Ewigkeit lang, um unsere ursprünglich rohen, rauhen Seelen zu verfeinern. Eine Wiedergeburt als Erhabener soll den Beweis dafür darstellen, dass man dem letzten, endgültigen Schmieden schon sehr nahe gekommen ist. Leider sieht die Wirklichkeit anders aus. Erhabene sind ebensowenig vollkommen wie andere Menschen. Auch sie können zerbrechen, wenn der Druck zu groß wird.
Mein Vater hat meine Mutter erschlagen und sich selbst umgebracht. Die Kaste hat das vertuscht. Zuzugeben, dass auch ein Erhabener verrückt sein kann, sei nicht in unser aller Interesse, befand man. Die unteren Kasten könnten das Vertrauen in uns verlieren, uns nicht mehr zutrauen, dass wir die Stadt gut führen.“ Aus Cristofs Worten troff reines Gift. „Also belügen wir sie lieber, die unteren Kasten!“
„Aber über so etwas Schreckliches möchte doch niemand reden!“, flüsterte Taya erschüttert. „Egal, in welcher Kaste es passiert.“
„Aber wie kann man Probleme vermeiden, wenn man nicht darüber redet?“ Cristof war vor dem Tor zum Universitätsgelände stehen geblieben und wies auf die Inschrift, die mit eisernen Lettern in den Torbogen eingelassen war: Wissen ist Macht .
„Wissen! Wir Erhabenen beten es an. Wir füttern die Große Maschine
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