Das mechanische Herz
zur nächsten Frage: An welcher analytischen Maschine würde man die Karten denn ausprobieren wollen? Die Leute benutzen den Begriff ‚analytische Maschine ‘ willkürlich und meinen damit alle möglichen Arten von Rechenmaschinen. Aber in Ondinium gibt es eigentlich nur fünf Maschinen, die man als analytisch bezeichnen kann: Die Große Maschine, die der Hochschule, die in der Bank von Ondinium, die im Gebäude des Rates – und die ist alt, kaum mehr als ein Differentialrechner – und den neuen Prototyp, der hier unten steht, ein bisschen weiter den Flur entlang, und es ist wirklich nicht so, als könnte jemand so einfach daherkommen und anfangen, eine dieser Maschinen mit irgendwelchen Karten zu füttern. Der Zugang wird streng überwacht und ist sehr eingeschränkt. Diese Karten hier könnten nur in der Großen Maschine laufen, für alle anderen sind sie zu groß.“
„Wie steht es damit, die Karten selbst zu lesen?“ Cristof nahm eine Lochkarte vom Tisch und betrachtete hilflos die Löcher darin. „Wie viele Menschen in der Stadt sind dazu in der Lage?“
„Von uns Programmierern vielleicht zwanzig.“
„Könnte einer von euch zwanzig geneigt sein, den Labyrinthcode an eine andere Nation zu verkaufen?“
„Die Sicherheit unseres Arbeitsplatzes aufs Spiel zu setzen? Von unserer Staatsbürgerschaft und unserem Augenlicht ganz zu schweigen? Wir haben nicht vergessen, was Dekatur Neuillan widerfuhr.“ Lars schüttelte den Kopf. „Wir sind nicht blöd.“
„Außerdem ist Cabiel das einzige andere Land mit weiterentwickelten analytischen Maschinen und verwendet eine ganz andere Programmiersprache als wir“, ergänzte Kyle. „Es gibt keine ausländische Nation, die den Labyrinthcode auf ihren eigenen Maschinen laufen lassen könnte.“
„Aber wenn ein Land wie Alzana in der Lage wäre, sich mit Hilfe dieses Codes in die Große Maschine einzuschleichen, könnte es uns damit großen Schaden zufügen“, meinte Cristof.
Wieder warfen die Programmierer einander Blicke zu.
„Wisst Ihr, Erhabener, die Menschen nennen die Große Maschine das Herz Ondiniums, aber so wichtig ist sie für unser tägliches Leben gar nicht“, erklärte Lars höflich. „Natürlich wäre es unangenehm, wenn ein paar der Programme durcheinanderkämen, und langfristig könnte uns das auch Probleme bereiten, aber wenn Alzana Ondinium wirklich schaden will, dann muss es nur unsere Raffinerien in die Luft jagen oder unsere Wasserreservoirs vergiften. Alles in allem ist dieses kleine Stückchen Code eigentlich gar nicht von so entscheidender Bedeutung.“
So schnell ließ Cristof sich nicht beirren. „Was ist mit den Zerrissenen Karten? Könnten die etwas damit anfangen?“
„Die Zerrissenen Karten wollen die Große Maschine zerstören“, sagte Isobel. „Das würden sie nicht mit einem Programm versuchen. Wenn die sich je Zugang zum Maschinenraum verschaffen, dann schmeißen sie einfach ein paar Bomben zwischen die Zahnräder.“
„Verstehe. Danke.“ Cristof suchte die Karten wieder zusammen. „Wenn euch noch irgend etwas einfällt, das uns dabei helfen könnte, herauszufinden, wer ... wer meinen Bruder umgebracht hat, würdet ihr mich das bitte wissen lassen? Es wäre wahrscheinlich am schnellsten, wenn ihr eine Nachricht an Taya Ikara schickt.“
„Lasst mir einfach durch die Verteilerstelle ein paar Zeilen zukommen oder sagt irgendeinem Ikarier, den ihr seht, dass ihr mich sprechen wollt“, fügte Taya hinzu.
„Wird gemacht.“ Einer nach dem anderen schüttelten ihr die Programmierer die Hand, um sich dann mit raschen, flüchtigen Verbeugungen von Cristof zu verabschieden.
„Was jetzt?“, wollte Taya wissen, als sie die breite Marmortreppe zum Vorplatz der Universität hinabstiegen. Der Herbstwind wehte trockene Blätter über den Fußgängerweg. „Glaubt Ihr, der Anschlag hat Alister gegolten?“
„Immerhin wissen wir jetzt, dass das denkbar wäre. Aber noch glaube ich eher, dass Caster das eigentliche Opfer sein sollte.“
„Wann können wir anfangen, Nachforschungen in diese Richtung zu unternehmen?“
„Heute nicht mehr.“ Cristof blieb stehen, nahm die Brille ab und putze sie am Mantel. „Ich gehe morgen zu Viera.“
„Darf ich mitkommen?“
Cristof wirkte wenig begeistert.
„Ich möchte gern“, drängte Taya. „Es wäre doch unhöflich, würde ich ihr keinen Kondolenzbesuch abstatten.“
„Wenn es sein muss.“ Er seufzte.
„Danke.“ Diesmal übernahm Taya die Führung. Sie
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