Das mechanische Herz
steuerte die Landebahn der Hochschule an. „Wann geht Ihr zu ihr?“
„Nicht vor Mittag. Kannst du dir ohne weiteres freinehmen?“
„Wenn ich sage, dass ich für einen Erhabenen arbeite, schon. Außerdem werden alle mit Rettungs- und Bergungsarbeiten beschäftigt sein, da sind die Arbeitspläne flexibel.“ Der Gedanke an das Wrack in der Bergen stimmte sie erneut traurig. „Dann treffen wir uns also morgen mittag. Wo?“
„Vor Vieras Anwesen.“
„Gut.“ Sie hatte die Landebahn erreicht, einen Metallturm, der sich über die Dächer der Hochschulgebäude erhob.
„Sicheren Flug.“
„Danke.“ Sie schwang sich auf die Sprossenleiter und fing an zu klettern, wobei sie ihr Gesicht dem Mond zuwandte.
Kapitel 10
A m nächsten Tag, bei der Ankunft auf dem Anwesen der Familie Octavus, legte Taya als erstes im Foyer die Flügel ab und ließ sie bei den Dienern zurück. Eine weise Entscheidung, wie sich bald herausstellte: Nachdem Viera Cristof umarmt hatte, warf sie sich Taya in die Arme.
„Wie froh ich bin, dass du gekommen bist!“
„Das alles tut mir so leid.“ Verwundert, aber auch ein wenig geschmeichelt erwiderte Taya die heftige Umarmung. „Wie geht es Ariq?“
„Ich fürchte, er fängt langsam an zu verstehen, was geschehen ist. Er ist sehr ruhig.“ Viera trat zurück und strich sich die vielen Kleiderschichten glatt. Ihre klaren Züge wirkten hager. „Wisst ihr schon, wer es getan hat?“
„Nein, aber wir stellen Nachforschungen an“, sagte Cristof. „Ich verspreche dir, dass wir bald mehr wissen.“
„Glauben die Liktoren ...“ Viera stockte. „Wem galt das Attentat? Alister oder Caster? Weiß man das schon?“
„Nein.“ Cristof nahm seine Cousine beim Arm und führte sie zu einem Ohrensessel. Sobald Viera sich gesetzt hatte, nahmen Taya und er auch Platz. „Ich habe inzwischen Anhaltspunkte, die darauf hinweisen, dass Alister hätte gemeint sein können. Offenbar könnte es Gründe gegeben haben, ihn zu beseitigen. Aber es ist immer noch genausogut möglich, dass Caster die eigentliche Zielperson war oder dass es sich um einen willkürlichen Terrorakt handelte. Für endgültige Aussagen ist es leider noch zu früh.“
Viera nickte langsam. Sie faltete die Hände im Schoß.
Cristof betrachtete sie aufmerksam. „Wärst du bereit, uns ein paar Fragen zu beantworten? Ich weiß, es fällt schwer, darüber zu reden, aber ...“
„Natürlich beantworte ich Fragen“, unterbrach Viera ihn brüsk. „Ich habe die ganze Nacht nichts anderes getan als zu brüten. Wer könnte meinen Ehemann umgebracht haben? Mir fällt dazu nur eines ein: Es muss mit seiner Mitarbeit im Rat zusammenhängen. Mit etwas Politischem, Gefährlichem.“
„Woran hat Caster gearbeitet? Standen wichtige Abstimmungen an? Ich weiß, die Abstimmungen sind vertraulich ...“
„Caster hat oft mit mir über seine Arbeit gesprochen, er hat mir viel erzählt. Vielleicht mehr, als er hätte erzählen dürfen, aber er war an meiner Meinung interessiert und hat mich gern um Rat gefragt.“ Viera sah Cristof in die Augen. „Ich wusste, dass er vorhatte, gegen den Test von Alisters Programm zu stimmen. Dann ging es noch um eine Erhöhung der Einfuhrzölle auf Luxusgüter aus Si’sier, die er befürwortete, und um die Durchsetzung neuer Sicherheitsstandards für die Textilindustrie, die er auch befürwortete. Aber keine dieser Abstimmungen ist von solcher Tragweite, dass man deswegen jemanden umbringt.“
„Alister erzählte gestern, Euer Mann hätte seine Meinung über das Programm geändert“, warf Taya ein. „Er wollte im Rat einer Erprobung zustimmen.“
„Meinst du das mechanische Herz?“
„Ja.“
„Undenkbar! Caster hielt die Idee für hanebüchen. Total lächerlich. Eine Maschine, fand er, wäre nie in der Lage gewesen, eine Ehe wie die unsere vorherzusagen, und er wollte auf keinen Fall jemanden davon abhalten, nach dem Glück zu suchen, das wir gefunden hatten.“ Bei den letzten Worten drohte ihr die Stimme zu versagen. Sie musste tief Luft holen, um sich zu fangen.
Cristof nahm ihre Hand. „Ich bin sicher, Caster hatte recht. Aber du kennst doch Alister. Er war felsenfest davon überzeugt, dass sich mit Hilfe der Technologie all unsere Probleme lösen lassen.“
Viera warf ihm ein schiefes Lächeln zu.
„Ich weiß! Seltsam, nicht wahr, dass ausgerechnet er solch ein Programm geschrieben hat, wo er dich doch immer mit deiner Liebe zu allem Mechanischen aufzog? Alister hat Maschinen
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