Das Meer Der Lügen: Ein Lord-John-Roman
Byrd. Harry Quarry und Konstabler Magruder wussten zwar, wo er war, doch dieses Wissen würde ihn nicht retten - denn jetzt hatten sie die Segel gesetzt, und ihr Kurs führte sie fort von England und jeder Hilfe. Und er bezweifelte, dass Joseph Trevelyan vorhatte, zurückzukommen und sich der Gerichtsbarkeit des Königs zu stellen.
Allerdings ging er nicht davon aus, dass man ihn über Bord werfen würde, solange noch Land in Sicht war. Vielleicht konnte er den Kapitän ja doch noch erreichen, oder Tom Byrd konnte es; womöglich war es ein Segen, dass Byrd seinen Brief noch hatte; denn so konnte Trevelyan ihn nicht auf der Stelle vernichten. Doch würde ein Kapitän den Besitzer seines Schiffs in Eisen legen oder die Abfahrt eines solchen Riesenschiffs abbrechen, und das nur kraft einer höchst dubiosen Vollmacht?
Er wandte sich von Trevelyans ironischem Blick ab und sah ohne sonderliche Überraschung, dass der Mann, der in der Ecke der Kabine stand, Finbar Scanlon war, der lautlos eine Kiste mit Instrumenten und Flaschen aufräumte.
»Und wo ist Mrs. Scanlon?«, erkundigte er sich und machte kühne Miene zum bösen Spiel. »Ebenfalls an Bord, nehme ich an.«
Scanlon schüttelte den Kopf, ein schwaches Lächeln auf den Lippen.
»Nein, Mylord. Sie ist in Irland in Sicherheit. Ich würde sie doch hier nicht in Gefahr bringen.«
Wegen ihres Zustandes, meinte der Mann vermutlich. Keine Frau würde freiwillig ein Kind an Bord eines noch so großen Schiffes zur Welt bringen.
»Dann wird die Reise also lang?« In seiner Benommenheit war er gar nicht darauf gekommen, Stapleton nach dem Ziel des Schiffes zu fragen. Wäre er rechtzeitig gekommen, hätte das ja auch keine Rolle gespielt. Aber jetzt? Wohin in Gottes Namen waren sie unterwegs?
»Ziemlich lang.« Es war Trevelyan, der das sagte, während er das Tuch von seinem Arm entfernte und das Ergebnis betrachtete. Die empfindliche Haut an der Innenseite seines Unterarms war skarifiziert worden, wie Grey sah; aus den in einem rechteckigen Muster angeordneten Schnitten quoll immer noch Blut.
Trevelyan wandte sich ab, um sich ein frisches Tuch zu nehmen, und Greys Blick fiel auf das Bett hinter ihm. Eine Frau lag reglos hinter den Gazevorhängen. Mit wenigen Schritten war er an der Seite des Bettes angelangt, wo er auf wackligen Füßen stand, während das Schiff erschauernd die Fahrt aufnahm.
»Das ist Mrs. Mayrhofer, nehme ich an?«, flüsterte er, obwohl sie zu tief zu schlafen schien, als dass sie leicht zu wecken gewesen wäre.
»Maria«, sagte Trevelyan leise neben ihm und blickte auf sie hinab, während er sich den Arm verband.
Sie war von der Krankheit ausgezehrt und hatte kaum noch Ähnlichkeit mit ihrem Porträt. Dennoch, dachte
Grey, war sie wahrscheinlich eine Schönheit, wenn sie gesund war. Jetzt standen ihre Wangenknochen zu weit vor, wenn ihre Form auch elegant war. Das Haar, das von ihrer hohen Stirn zurückfiel, war dunkel und dicht, wenn auch vom Schweiß verklebt. Sie war ebenfalls zur Ader gelassen worden; ein sauberer Verband war um ihren Ellbogen gewickelt. Ihre Hände lagen offen auf der Bettdecke, und er sah, dass sie Trevelyans Siegelring trug, der ihr lose am Finger hing - den Smaragd mit dem Zeichen des Rabens von Cornwall.
»Was fehlt ihr denn?«, fragte er, denn Scanlon war jetzt an seine andere Seite getreten.
»Malaria«, erwiderte der Apotheker in sachlichem Ton. »Tertianfieber. Geht es Euch gut, Sir?«
So dicht bei ihr konnte er es nicht nur sehen, sondern auch riechen; die Haut der Frau war gelb, und ein feiner Schweißfilm überzog ihre Schläfen. Er roch den seltsamen Moschusgeruch der Gelbsucht durch den Schleier des Parfums, das sie trug - das gleiche Parfum, das er an ihrem Mann gerochen hatte, als er tot in einem blutdurchtränkten Kleid aus grünem Samt vor ihm lag.
»Wird sie durchkommen?«, fragte er. Welche Ironie, dachte er, sollte Trevelyan ihren Mann umgebracht haben, um sie zu bekommen, nur um sie jetzt an eine tödliche Krankheit zu verlieren.
»Sie ist jetzt in Gottes Hand«, sagte Scanlon und schüttelte den Kopf. »Genau wie er.« Er wies auf Trevelyan, und Grey sah ihn scharf an.
»Was meint Ihr damit?«
Trevelyan seufzte und rollte seinen Ärmel über den Verband.
»Kommt, und trinkt etwas mit mir, John. Wir haben jetzt Zeit genug. Ich erzähle Euch alles, was Ihr wissen möchtet.«
»Ich würde einen direkten Schlag auf den Schädel einer erneuten Vergiftung vorziehen - wenn es Euch sowieso egal
Weitere Kostenlose Bücher