Das Meer Der Lügen: Ein Lord-John-Roman
berichte er von einem geschäftlichen Desaster; einem Minenunglück vielleicht oder einem Schiffsuntergang. »Da hat er ihr gesagt, dass er das Kind umgebracht hatte; hat ihr gesagt, sie solle ihm dankbar sein, dass er sie davor bewahrt hätte, Tag um Tag mit der Schande seiner Missbildung zu leben.«
Bei diesen Worten hatte die Frau, die jahrelang geduldig mit dem Wissen seiner Untreue und Promiskuität gelebt hatte, gespürt, wie das Band ihres Gelöbnisses entzwei riss, und Maria Mayrhofer hatte jene feine Linie der Hemmung überschritten, die Justiz von Rache trennt. Rasend vor Wut und Trauer, hatte sie ihn mit sämtlichen Erniedrigungen konfrontiert, die sie in den Jahren ihrer Ehe ertragen hatte, und ihm gedroht, seine flatterhaften Affären publik zu machen, die Tatsache seiner Syphiliserkrankung in der Gesellschaft zu verbreiten, ihn öffentlich des Mordes zu beschuldigen.
Diese Drohungen hatten Mayrhofer etwas ernüchtert. Er war aus dem Zimmer seiner Frau gestolpert und hatte sie tobend und weinend zurückgelassen. Sie hatte die Pistole, die sie während der ganzen Woche ihres Grübelns nicht aus den Augen gelassen hatte, zur Hand. Sie hatte oft in den Bergen ihrer österreichischen Heimat gejagt und war den Umgang mit Schusswaffen gewöhnt; es war die Arbeit weniger Sekunden, die Waffe zu laden.
»Ich weiß nicht genau, was sie vorhatte«, sagte Trevelyan, den Blick auf einen Möwenschwarm geheftet, der über dem Ozean kreiste und nach Fisch tauchte. »Sie hat mir erzählt, dass sie es selbst nicht wusste. Möglich, dass sie vorhatte, sich selbst umzubringen - oder sie beide.«
Schließlich hatte sich jedoch die Tür zu ihrem Boudoir einige Minuten darauf geöffnet, und ihr Mann war wieder hereingeschwankt, in das grüne Samtkleid gekleidet, das sie zu ihren Treffen mit Trevelyan trug. Rot vom Alkohol und vor Aufregung, hatte er herausfordernd zu ihr gesagt, sie solle es nicht wagen, ihn bloßzustellen -
sonst werde er dafür sorgen, dass sowohl sie als auch ihr ach so wunderbarer Geliebter einen noch größeren Preis zahlen würden. Was würde wohl aus Joseph Trevelyan werden, fragte er schwankend gegen den Türrahmen gelehnt, wenn bekannt wurde, dass er nicht nur ein Ehebrecher war, sondern ein Sodomit dazu?
»Also hat sie ihn erschossen«, schloss Trevelyan mit einem kleinen Achselzucken. »Direkt ins Herz. Könnt Ihr ihr das verdenken?«
»Was glaubt Ihr, wie er von Euren Treffen im ›Lavender House‹ erfahren hat?«, fragte Grey, ohne auf die Frage einzugehen. Er fragte sich mit einem dumpfen Gefühl, was Richard Casewell wohl über seine eigenen Besuche dort ausgeplaudert haben mochte, zehn Jahre zuvor. Trevelyan hatte nichts davon erwähnt, und das hätte er doch mit Sicherheit, wenn…
Trevelyan schüttelte den Kopf, seufzte, und schloss die Augen, um sie vor dem Gleißen der Sonne auf dem Wasser zu schützen.
»Ich weiß es nicht. Wie gesagt, Reinhardt Mayrhofer war ein Intrigant. Er hatte seine Quellen - und er kannte Magda, die aus dem Dorf in der Nähe seines Anwesens kam. Ich habe sie gut bezahlt, aber eventuell hat er sie besser bezahlt. Man kann schließlich keiner Hure trauen«, fügte er mit einem leisen Hauch von Bitterkeit hinzu.
Es kam auf die Hure an, dachte Grey, der sich an Nessie erinnerte, doch er sagte nichts.
»Aber Mrs. Mayrhofer hat doch ihrem Mann gewiss nicht das Gesicht zerschmettert«, sagte er stattdessen. »Wart Ihr das?«
Trevelyan öffnete die Augen und nickte.
»Jack Byrd und ich.« Er hob den Kopf und blickte suchend in die Takelage, aber die beiden Byrds waren verschwunden. »Er ist ein guter Junge, Jack. Ein guter Junge«, wiederholte er mit noch mehr Nachdruck.
Vom Knall der Pistole abrupt zur Vernunft gebracht, hatte Maria Mayrhofer sofort ihr Boudoir verlassen und einen Dienstboten gerufen, den sie eiligst in die Stadt schickte, um Trevelyan zu rufen. Nach seiner Ankunft in Begleitung dieses Bediensteten, der ihr Vertrauen besaß, hatten die beiden Männer die Leiche, die nach wie vor in grünen Samt gekleidet war, zur Remise hinausgetragen und beraten, was sie damit tun sollten.
»Ich konnte nicht zulassen, dass die Wahrheit ans Licht kam«, erklärte Trevelyan. »Es war gut möglich, dass man Maria hängen würde, wenn sie vor Gericht gestellt wurde - obwohl es gewiss noch nie einen Mord gegeben hat, der sein Opfer so verdient getroffen hat. Doch selbst wenn man sie freisprach, hätte die bloße Tatsache einer Verhandlung Enthüllung bedeutet.
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