Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Meer Der Lügen: Ein Lord-John-Roman

Titel: Das Meer Der Lügen: Ein Lord-John-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
Vom Netzwerk:
Ameisen.
    Das bewies zumindest eines, dachte Grey. Es war eine geplante Attacke gewesen, keine zufällige Gewalttat auf der Straße. Um so schnell verschwinden zu können, musste der Angreifer aussehen wie das gemeine Fußvolk; ein reicher Kaufmann oder ein Adliger wäre durch seine Haltung und Kleidung aufgefallen. Die Sänfte war gemietet gewesen; niemand erinnerte sich an das Aussehen
des Fahrgastes, und der angegebene Name war - wenig überraschend - falsch.
    Rastlos blätterte er den Rest der Post durch. Alle anderen Nachforschungen hatten sich bis jetzt als fruchtlos erwiesen. Man hatte keine Waffe gefunden. Er und Quarry hatten nach dem Portier im Flur des Beefsteak gesucht, weil sie hofften, dass er vielleicht die Unterhaltung zwischen Gerald und Bubb-Dodington mitgehört hatte, doch der Mann war eine vorübergehend eingestellte Kraft gewesen. Er hatte nur den einen Tag im Club gearbeitet und war schon lange ausbezahlt worden und verschwunden, zweifellos, um das Geld zu vertrinken.
    Grey hatte in seinem Bekanntenkreis nachgefragt, ob es Gerüchte bezüglich irgendwelcher Feinde gab, oder falls nicht, ob es vielleicht in der Vorgeschichte des verstorbenen Robert Gerald einen Hinweis auf ein Motiv für das Verbrechen gab. Gerald war offensichtlich in Regierungskreisen und an den Treffpunkten der respektablen Gesellschaft hinlänglich bekannt, doch er hinterließ keine nennenswerten Geldsummen, hatte keine Erben außer seiner Mutter, und es gab keinerlei Hinweise auf romantische Verwicklungen - kurz, nichts deutete irgendwie auf eine Verbindung hin, die zu jenem blutigen Tod auf der Forby Street geführt hatte.
    Er hielt inne, denn sein Blick fiel auf ein unvertrautes Siegel. Eine Notiz, unterzeichnet von einem gewissen G. Bubb-Dodington, der sich bei Gelegenheit einige Augenblicke seiner Zeit erbat und en passant bemerkte, dass er, B.-D., seinerseits abends im Hause Joffrey zugegen sein würde, sollte Lord John sich ebenfalls dort aufhalten.
    Grey griff erneut nach der Einladung und fand ein zusammengefaltetes
Stück Papier dahinter. Als er es auseinander strich, entpuppte es sich als Flugblatt, das mit einem Gedicht bedruckt war - oder zumindest mit Worten, die in Versform arrangiert waren. »Ein Schandfleck weniger« lautete der Titel. Der Knittelvers, dem es an Metrum, nicht aber an derbem Witz fehlte, erzählte die Geschichte einer »Mann-Hure«, deren lüsterne Ausschweifungen die Öffentlichkeit in Entrüstung versetzten, bis »ein Skandal aufflammte, blutrot wie die unsägliche Farbe seines Haars« und sich ein unbekannter Retter erhob, um das Perverse zu vernichten, und damit das jungfräuliche Pergament der Gesellschaft reinwusch.
    Lord John hatte noch nicht gefrühstückt, und dieser Anblick raubte ihm auch die letzte Spur von Appetit. Er trug das Dokument in das Damenzimmer und führte es sorgfältig dem Feuer zu.
     
    Das Haus der Joffreys war eine kleine, aber elegante weiße Steinvilla in der Nähe des Eaton Square. Grey war noch nie dort gewesen, doch das Haus war bekannt für seine exzellenten Partys, und es war ein beliebter Treffpunkt für die politisch interessierte Gesellschaft. Sir Richard Joffrey, Quarrys älterer Halbbruder, war ein einflussreicher Mann.
    Als Grey die Marmortreppe hinaufstieg, sah er einen Parlamentsabgeordneten und den Ersten Seelord direkt vor sich ins Gespräch vertieft, und er bemerkte diverse Kutschen von schlichter Eleganz, die in einiger Entfernung auf der Straße standen. Ein größerer Anlass also. Er war ein wenig überrascht, dass Lady Lucinda so unmittelbar nach der Ermordung ihres Vetters einen solch großen
Empfang gab - Quarry hatte gesagt, sie hätte Gerald nahe gestanden.
    Quarry war auf dem Posten; kaum hatte man Greys Eintreffen verkündet, als er auch schon am Arm gepackt und aus der Begrüßungsschlange in den Schutz einer monströsen Pflanze gerissen wurde, die man in eine Ecke des Ballsaales gestellt hatte, wo sie sich mit einigen Artgenossen zu einem kleinen Dschungel zusammengetan hatte.
    »Ihr seid also gekommen«, sagte Quarry überflüssigerweise.
    Grey, der das mitgenommene Aussehen des Mannes bemerkte, sagt nur: »Ja. Was gibt es Neues?«
    Erschöpfung und Sorgen trugen normalerweise nur dazu bei, Greys fein geschnittene Gesichtszüge zu schärfen, doch Quarry verliehen sie eine wild entschlossene Ausstrahlung, die ihn wie einen großen, übel gelaunten Hund aussehen ließ.
    »Ihr habt dieses … dieses … unsägliche Stück Exkrement

Weitere Kostenlose Bücher