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Das Meer der Seelen Bd. 1 - Nur ein Leben

Das Meer der Seelen Bd. 1 - Nur ein Leben

Titel: Das Meer der Seelen Bd. 1 - Nur ein Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Meadows
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Jetzt hatte ich mehr Angst vor dem, was passieren würde, wenn ich es nicht versuchte.
    Ich wartete, bis die Sonne hinter der Mauer versank und die Stadt in ein dunstiges Indigoblau tauchte. In wenigen Minuten würde es Nacht sein.
    Angetan mit der dunkelsten Kleidung, die ich finden konnte, band ich mir die Haare zusammen und stopfte sie unter eine Mütze, dann knackte ich das Schloss am Fenster. Stef hatte es mir beigebracht und gesagt, dass ich nicht die Einzige im Reich sein sollte, die es nicht konnte; Sam hatte sie eine Gaunerin genannt.
    Wolken bedeckten den Himmel und drohten mit schlechtem Wetter. In dem tintendunklen Hof fand ich nur Tannen und Sträucher, einen kleinen Garten. Normale Sachen. Die meisten Menschen hatten alles, was sie brauchten, um sich zwischen den Markttagen selbst zu versorgen, sogar Li.
    Gelangweilt klingende Stimmen kamen von der Nordseite des Hauses. Sie waren nicht von Schritten oder raschelndem
Gebüsch begleitet, also bewegten sie sich nicht. Vielleicht standen sie zu meinem Fenster gewandt und so, dass ich sie erst sehen konnte, wenn ich mich hinauslehnte. Und dann würden sie mich entdecken.
    Ich warf einen Schuh nach draußen. Er landete in einer dichten Gruppe von Nadelbäumen. Schritte von zwei Paar Füßen folgten ihm, und ich zog mich aus dem Fenster, drehte mich um, um mit den Füßen Halt auf einem Gesims zu finden, und griff nach einem kahlen Pappelzweig. Ich hing zwei Stockwerke über dem Boden, als die Schritte sich wieder dem Haus näherten.
    Hektisch schwang ich mich in den Baum, der mir den Gefallen tat zu schweigen. Ich kauerte mich auf den dicken Ast, bis die Wachen sich beruhigt hatten. Als sie ums Haus herumgingen – und diskutierten, ob ich zu fliehen versuchte oder nicht, oder ob ich sie einfach ärgern wollte –, rutschte ich an dem Baum hinunter und in das Gebüsch auf der anderen Seite des Gartens.
    Als alles still war bis auf den Wind und Nachtvögel, die Schlaflieder sangen, schlich ich mich um das Haus zu dem Weg. Sosehr ich auch rennen wollte, ich zwang mich, alle paar Schritte stehen zu bleiben und zu lauschen.
    Ich hielt mich im Schatten und huschte am Gehweg vorbei auf die Nordallee und so durch die Stadt. Wenn ich Kreuzungen überqueren musste, hielt ich die Luft an und rannte, ich lauschte angestrengt auf jedes Geräusch, das nicht von meinen Schuhen auf den Pflastersteinen kam. Hagel prasselte auf den Boden. Ich war beinahe dankbar für den Lärm, der meine Schritte übertönte, aber er übertönte auch die Schritte aller anderen.
    Die Stadt schien größer zu werden, je weiter ich ging, und der Tempel immer ferner zu rücken. Ich lief die Nordallee hinunter
und blieb kurz vor dem Marktplatz stehen. So viel leerer Raum. Ich stellte mir vor, wie ein Schatten von mir über den Platz flitzte und wie sich meine dummen schwarzen Klamotten gegen die weißen Gebäude drückten.
    Toll.
    Hagel klatschte stärker auf die Stadt und glänzte unter dem schillernden Licht. Wenn ich mich nicht bewegte, würde ich mich auf der Stelle in eine Eisstatue verwandeln.
    Ich durchsuchte den grau beleuchteten Bereich und lauschte, so lange ich es wagte. Ich musste immer noch um das Rathaus herumgehen, ganz zu schweigen davon, dass ich eine Art von Eingang in das Gebäude finden musste und einen Weg, Sam herauszuholen. Nur weil ich das Schloss an meinem Fenster knacken konnte, hieß das nicht, dass ich irgendetwas über die Seelenscanner wusste, die in den sicheren Teilen der Stadt benutzt wurden.
    »Kein Zögern mehr«, flüsterte ich und überwand mich, den Marktplatz zu überqueren. Zu laut. Meine Schuhe schlugen auf die Pflastersteine. Mein Atem zischte und bildete Wölkchen in der kalten Luft. Ich hielt die Riemen meines Rucksacks fest, damit er nicht hin und her geworfen wurde. Vergiss, dass jemand meine dummen schwarzen Kleider vor dem Gebäude sieht, sie würden mich vorher kommen hören.
    Nach einer Ewigkeit rutschte ich auf den nassen Steinen aus und landete an der Mauer des Rathauses, prallte davon ab und krümmte mich auf der Straße, während ich nach Luft rang. Ich hustete und keuchte in meine Ärmel und wartete darauf, dass ich wieder klar sehen konnte, ehe ich erneut versuchte, um das Gebäude herumzuschleichen.
    Schwarze Kleider. Weißes Gebäude. Sam hätte es vorausgesehen. Jeder hätte es vorausgesehen. Jeder außer mir. Ich hasste es, neu zu sein.

    Als ich wieder genug Luft bekam, suchte ich den Platz ab. Hagel glänzte auf den Pflastersteinen

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