Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Meer der Seelen Bd. 1 - Nur ein Leben

Das Meer der Seelen Bd. 1 - Nur ein Leben

Titel: Das Meer der Seelen Bd. 1 - Nur ein Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Meadows
Vom Netzwerk:
Augen zufielen. Er beugte sich über mich, so nahe, dass ich seinen warmen Atem auf der Haut spüren konnte, und ich wartete darauf, was als Nächstes kommen würde.
    Nichts.
    Er seufzte und verließ den Raum, und ich lag da, plötzlich zu wach, um zu schlafen. Es gab keinen Grund für mich, mir vorzustellen, dass er mir einen Kuss auf die Stirn gab, oder mich daran zu erinnern, wie er am Klavier meinen Arm berührt hatte. Er war Sam.
    Nein, er war Dossam , und natürlich würde ich jetzt an dumme Dinge denken.
    Ich lauschte, wie er sich durchs Haus bewegte, und nach einer Weile blieb er vor meiner Schlafzimmertür stehen. Seine Silhouette verdunkelte für einen Moment die Seidenwand, bevor er beinahe lautlos die Treppe hinuntertappte und die Haustür zuging. Abgeschlossen wurde.
    Ich richtete mich auf und schaute zu meinem Fenster hinüber, aber es ging in die falsche Richtung. Ich wollte eindeutig nirgendwo mehr hingehen, obwohl ich schrecklich versucht war, ihm hinterherzuschleichen. Aber wenn er mich entdeckte, würde er wütend sein.
    Es war nach Mitternacht, als er zurückkehrte und irgendetwas murmelte – ich spitzte die Ohren –, dass er Zeit mit
Genealogien verschwendet habe. Ich wusste nicht viel über Genealogien, weil die alten Bücher von Cris nicht genau waren, und Li hatte meine Fragen gar nicht erst beantwortet. Ich wusste allerdings, dass Genealogien die am sorgfältigsten verwahrten Bücher in der Bibliothek waren, weil man oft darin nachschlagen musste. Der Rat achtete stets genau darauf, wem er seine Genehmigung für Kinder erteilte – etwas über Gendefekte und die ständige Gefahr von Inzucht. Gähn. Das interessierte mich eher wenig.
    Nichts davon erklärte, warum Sam mitten in der Nacht in die Bibliothek gegangen war. Falls er überhaupt dorthin gegangen war. Vielleicht hatte er vergessen, wer in diesem Leben seine Eltern waren, und musste es bloß nachschlagen. Ich hätte da längst den Überblick verloren.
    Voller Gedanken fiel ich in einen rastlosen Schlaf, obwohl es seit einer Woche meine erste Nacht in einem richtigen Bett war – und meine erste Nacht überhaupt in einem Bett, das in den letzten hundert Jahren repariert worden war. Ich hätte es genießen sollen, aber ich konnte nur an all die seltsamen Dinge denken, die seit unserer Ankunft in der Stadt geschehen waren – und an Sam.
    Das Ankleiden am Morgen war nicht ganz einfach. Sam musste als Frau größer gewesen sein als ich und vollbusiger. Ein Kleid, das ihm wahrscheinlich bis zu den Knien gereicht hatte, ging mir bis zur Wadenmitte. Mithilfe eines kleinen Nähsets im Schreibtisch änderte ich die Schultern und machte Abnäher, wo ich nicht ganz so üppig ausgestattet war.
    Saubere Kleidung und ein Bad hatten Wunder gewirkt. Trotzdem hatte ich das Gefühl, dass meine Knochen regelrecht knarrten, als ich auf Zehenspitzen nach unten ging und eine Kanne Kaffee aufsetzte.
    Sams Küche war groß – gut, klein im Vergleich zum Wohnzimmer –
mit geräumigen Steintheken an einer Seite und einem Palisandertisch auf der anderen. Obwohl alles eher elegant als wuchtig wirkte, war es wahrscheinlich Hunderte von Jahren alt und sehr stabil.
    Durch die Hintertür blickte man auf einige der Nebengebäude, ein kleines Gewächshaus und Lagerschuppen. Der Sonnenaufgang hier war … anders. Der Himmel wurde zuerst hell, zusammen mit den Baumwipfeln, und es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis die Sonnenstrahlen über die Mauer fielen. Wässriger, nicht so honiggolden. Noch etwas an der Stadt, was nicht ganz richtig war.
    Hätte Sam nicht einen überraschten Laut von sich gegeben, ich hätte ihn in der Küchentür hinter mir nicht gehört. Ich wirbelte herum und sah, dass er mich anschaute, als hätte er nicht damit gerechnet, dass ich noch hier war. Oder – es war schwer zu sagen. Ich konnte seine Gesichtsausdrücke nach wie vor nur schwer deuten.
    »Was? Überrascht, dass ich Kaffee kochen kann? Ich habe dich oft genug dabei beobachtet.«
    Das schien ihn aus seiner Benommenheit zu reißen. »Überhaupt nicht.« Er schlurfte zur Kaffeekanne und rieb sich die Wange. Seine Haut war jetzt glatt, frischrasiert, und es ließ ihn jünger erscheinen. »Deine Haare haben im Licht geleuchtet. Sie sahen rot aus, wie Flammen.«
    Das war eine seltsame Bemerkung und nicht zwangsläufig gut oder schlecht. Warum konnte er nicht einfach so sprechen, dass ich ihn verstand?
    Ich schloss die Tür und lehnte mich dagegen, während er uns beiden Kaffee

Weitere Kostenlose Bücher