Das Meer der Seelen Bd. 1 - Nur ein Leben
den Reißverschluss zu und tauchte in die Menge ein. Ich musste die Leute dermaßen mit den Ellbogen beiseitedrängen, dass es mich nicht überrascht hätte, wenn die Million Einwohner von Heart vollzählig hier versammelt gewesen wäre.
»Sam!« Ich suchte in der Menge nach seinem Gesicht und versuchte, mich daran zu erinnern, was er angehabt hatte. Es war wie weggeblasen, also rief ich weiter seinen Namen.
Der Donner wurde lauter, klarer. Es klang nicht mehr wie Donner, sondern wie Knurren und das Schlagen von Flügeln.
Im Norden, direkt über der Stadtmauer, sah ich eine tiefschwarze Gestalt, die sich beim Herannahen in drei teilte. Sie hatten lange, geschwungene Körper mit weit ausladenden Flügeln. Sonnenlicht glitzerte auf Schuppen. Sie waren geschmeidig und elegant, doch tödlicher als Sylphen. Ich starrte sie dümmlich an, fasziniert.
Leute stießen mit mir zusammen – »Beweg dich, Mädchen!« – und rissen mich in die Realität zurück. Als ich mich duckte, um mich gegen den Strom der Menschen zu drängen, die auf das Wohnviertel zustrebten, piepste meine Brusttasche. Ich tastete nach dem SAK.
»Ana!« Ich konnte Sam über den ganzen Lärm hinweg kaum hören. »Geh nach Hause.«
»Wo bist du?« Ich musste schreien, und mein Hals war bereits wund vor Kälte. »Ich kann dich nicht finden.«
»Geh nach Hause.« Die Verbindung brach ab. Natürlich würde er mir nicht sagen, wo er war, er wusste, dass ich ihm folgen würde.
Ich stopfte das Gerät wieder in die Tasche und ging weiter. Ihm musste doch klar sein, dass ich ihn nicht in diesem Chaos zurücklassen würde, ganz gleich, was er mir befahl.
Die Marktzelte hoben sich wie bunte Flecken gegen das Rathaus und den Tempel ab, ein Stofflabyrinth, in dem jede Biegung eine falsche war. Menschen drängten umher, einige mit einem Ziel, die meisten in Panik. Immer noch kein Sam.
Ein schriller Heulton drang auf- und abschwellend durch die Stadt. Er ging zuerst vom Rathaus aus, dann jaulte er durch andere Gebäude, bevor er erstarb. Der Alarm war nur ein Aufmerksamkeitserreger, als könnte irgendwer den Angriff nicht mitbekommen haben. Selbst ein Tauber würde den Drachendonner hören können.
Ein dreimaliges unglaubliches Krachen kam von der Nordmauer. Ich reckte den Hals, um etwas zu sehen, aber das Rathaus versperrte mir die Sicht. Ich hielt mir die Ohren zu, doch das dämpfte den Lärm nicht. »Sam!« Meine Stimme verlor sich unter den anderen, und ich konnte nichts sehen, umringt von all den Menschen, die größer waren als ich.
Ich rammte den vom Mantel gepolsterten Ellbogen jemandem in die Rippen – der es nicht zu bemerken schien – und zwängte mich zwischen zwei andere. Da, auf den Stufen des Rathauses. Ein dunkler Haarschopf, der geschnitten werden musste. Sam? Ich schob mich durch und kämpfte mir einen Weg die Treppe hinauf, aber er war verschwunden.
Das Gedränge ließ endlich nach, als jeder entweder in Sicherheit oder – ich konnte von oben auf der Treppe einigermaßen sehen – an den Waffen war. Auf der nördlichen Wachstation, die so hoch war wie die Stadtmauer, waren Kanonen zu sehen, die auf die Drachen zielten. Sie waren jetzt nur noch wenige Armeslängen von Heart entfernt.
Eine weitere Serie von krachenden Donnerschlägen, und Metall und Feuer schossen aus den Kanonen. Eine Kugel traf den ersten Drachen, der sich krümmte und durch die Luft taumelte, aber die beiden anderen flogen seitwärts und wichen trotz ihrer Flügelspanne mühelos aus.
Die Kanonen schwenkten auf ihren Lafetten herum, als die beiden Drachen über die Mauern flogen, aber sie zielten nicht, nicht auf die Stadt. Blaue Ziellichter schossen vom Boden hoch, gefolgt von unsichtbaren Laserschüssen, aber der Schaden war minimal. Drachenhaut war stärker als Eisen.
Während ein Drache direkt auf das Zentrum von Heart zuhielt, spie der andere irgendwelche grünen Kleckse – nicht Schleim, sondern etwas, das durch die Pflastersteine der Nordallee zischte. Säure. Sie breitete sich in riesigen, schleimigen Pfützen in Richtung der Häuser und Farmen aus.
Als einem Laser endlich mehr als ein Streifschuss gelang, brannte er ein Loch in einen der gewaltigen Flügel. Der Gestank von kochendem Fleisch zog durch die Stadt. Der Drache trudelte auf die Nordallee zu und spie dabei im Sturz Säure. Das war gut, aber inzwischen hatte sich der Drache, der von der Kanone getroffen worden war, wieder erholt, so dass er seinen Kameraden in die Stadt folgen
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