Das Meer der Seelen Bd. 1 - Nur ein Leben
konnte.
»Ana! Um der Liebe Janans willen, was tust du hier draußen?« Stef kam aus dem Rathaus und hielt eine Laserpistole in der Hand. »Geh rein. Sofort.« Ohne sich zu vergewissern, ob ich gehorchte, sauste sie die Stufen hinab und schoss einen
Strahl blauen Lichts auf den nächsten Drachen, der den Tempel erreicht hatte.
Ich konnte mich nicht bewegen. Der Drache war unmittelbar über dem Rathaus, der andere war dicht hinter ihm und fing Laserschüsse ab, wie um den anderen zu beschützen. Säurekleckse regneten auf den Marktplatz und brannten sich durch Zelte und Tische. Menschen näherten sich dem gefallenen Drachen und feuerten Waffen ab, während dieser um sich schlug und spuckte. Sowohl die Menschen als auch die Drachen schrien.
Der Drache über uns schlang sich kreischend um den Tempel und biss in das Gebäude. Säure sabberte nach unten, aber weder sie noch die messerscharfen Zähne konnten dem Stein etwas anhaben. Ich hielt mir gegen das Kratzen und Heulen die Ohren zu. All diese Menschen mit Waffen, und der Drache ging auf den Tempel los? Vergeblich? Sein Beschützer würde sich nicht lange halten können, so viel Säure er auch auf die Stadt herabregnen ließ.
Lichter schossen empor, schnell und blendend. Mehr Menschen, die nur Minuten zuvor Kuchen verkauft hatten, strömten mit Waffen aus dem Rathaus. Sie sprangen die Stufen hinab, wobei sie den tropfenden Pfützen aus Säure auswichen, die grün leuchteten.
Sam packte mich an der Schulter, als er herauskam, ebenfalls bewaffnet. »Geh hinein.« Angst und Sorge verzerrten sein Gesicht, und da war eine Dunkelheit in seinen Augen, die ich nie zuvor gesehen hatte. »Bitte«, wiederholte er rau. »Bring dich in Sicherheit.«
Benommen schüttelte ich den Kopf und deutete auf den Drachen, der dem Tempelbeißer Raumdeckung gab. Laserstrahlen durchbohrten endlich die breiten Flügel und die gepanzerte Haut, und die Bestie krachte herunter und schleuderte ein Säurekügelchen auf die Rathausstufen – auf uns.
Ich riss Sam genau in dem Moment hinter eine Säule, als die Säure auf den Stein klatschte und sich hineinzufressen begann. Spritzer zischten mir hinten in den Mantel.
Während ich Sam zurief, dass er das Gleiche tun solle, zog ich den Reißverschluss meines Mantels auf und schlüpfte aus den Ärmeln. Meine Tasche mit den Kleidern und dem Kostümmaterial fiel unversehrt zu Boden. Dutzende von Löchern erschienen in unseren Mänteln, und ich rümpfte die Nase wegen des Säuregestanks.
Mit angehaltenem Atem fuhr ich mit den Händen über Sams Rücken, aber er war sauber. Er tat das Gleiche bei mir, dann zog er mich fest an sich, als der dritte Drache auf den Boden schlug, so dass alles erzitterte. Ich zitterte ebenfalls, vor Kälte und vor Angst vor dem, was beinahe geschehen wäre.
Die Säure fraß sich schnell durch die Stufen und neutralisierte sich. Sam starrte sie so dümmlich an wie ich die Drachen, doch diese Dunkelheit in seinen Augen. So musste ich in der Nacht ausgesehen haben, als er mich vor dem Ertrinken gerettet hatte, als ich aus seinem Zelt gelaufen war und auf den See gestarrt hatte und in der Falle saß.
Die Dunkelheit war Erinnerung. Sam war wahrscheinlich schon früher an Drachensäure gestorben, vielleicht innerhalb der letzten paar Leben. Ich brauchte nicht zu fragen, um es zu wissen, daher würde ich es auch nicht tun. Stattdessen berührte ich ihn am Kinn und lenkte seinen Blick von dem Loch in der Treppe ab. »Es ist vorbei.« Sie hatten noch nicht einmal Zeit gehabt, die Luftdrohnen zu starten, die eigens dazu geschaffen worden waren, die Stadt gegen Drachen zu verteidigen.
Ich hatte keine anderen Erfahrungen mit Drachen als die, die ich soeben gemacht hatte. Ich hatte nur über sie gelesen: gescheiterte Versuche, sie zu jagen und restlos auszulöschen
durch Krankheitserreger und Gifte, und Experimente an gefangenen Drachen. Aber sie griffen immer noch an, so zornig, wie sie es vor fünftausend Jahren gewesen waren, als die Menschen ins Reich gekommen waren.
Die Bewohner von Heart hatten diese Angriffe seit Jahrtausenden ertragen – ich konnte mir nicht einmal ansatzweise vorstellen, jedes Mal diese Angst überwinden zu müssen.
Mehr Menschen schwärmten aus dem Rathaus, teilten sich um uns herum und hielten kleine Schläuche in Händen, die chemischen Nebel auf alles sprühten, was die Säure berührt hatte. Es roch süß, wie zertretenes Gras. Die Aufräumarbeiten hatten begonnen, und wir sollten helfen, aber
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