Das Meer der Seelen Bd. 1 - Nur ein Leben
meine Hände versagten am Türknauf. Meine Finger waren zu steif, und mein Arm zitterte. Als Sam neben mir auftauchte, biss ich mir auf die Lippen und starrte die Tür an. Ich konzentrierte mich auf das Holz, die kieferngrüne Farbe und darauf, wie sie in die Maserung einsank. Ich wollte ihn nicht ansehen.
»Ana.« Seine Hand bewegte sich auf meine zu, aber ich schrak zurück.
»Würdest du bitte die Tür öffnen?«
Er tat es, als wäre es das Schwerste auf der Welt. Aber er hatte auch nicht gerade ein Gespräch von Freunden darüber mit angehört, ob er Leute ersetzte, die sie liebten, oder von ihm geredet, als wäre er ein wilder Welpe, der nur zögerlich Essensreste fraß.
Ich war wirklich ein Schmetterling.
Der Boden klang hohl unter meinen Schuhen, als ich polternd durch den Salon mit seinen Instrumenten rannte. Und ich fragte mich, ob Sam auch für Ciana ein Lied geschrieben hatte.
Die Treppe hoch, so schnell ich konnte. Als ich die Galerie oberhalb des Wohnzimmers erreichte, drehte ich mich zu Sam um und legte die Hände auf das Geländer.
Er blieb mitten auf der Treppe stehen, und er sah hager aus, aufgerissen, und all seine Jahrhunderte lagen offen. Ich stellte mir vor, dass ich sein erstes Leben sehen konnte, abrupt beendet von Drachensäure. Sein Leben vor diesem, beendet, als Ciana gestorben und er nach Norden gegangen war. In Heart hatte ihn nichts mehr gehalten, also hatte er sich den Drachen ausgeliefert.
Meine Hände kribbelten vor Erinnerungen an Rosendornen und Sylphenverbrennungen. Ich war nie gestorben, aber nicht, weil die Welt es nicht versucht hätte.
Wir sahen uns an, bis er meinen Namen sagte, und ich erwiderte: »Ich wusste nicht, dass du sie geliebt hast.«
Ich blieb für den Rest des Nachmittags in meinem Zimmer, das Kissen über dem Kopf, um seine Klavierübungen zu dämpfen. Es waren alte Sonaten und Melodien, die ich nicht kannte. Vielleicht hoffte er, dass die für mich neue Musik mich nach unten locken würde. Ich war nur froh, dass er nicht das Stück spielte, das er Ana Incarnata genannt hatte. Es hätte mich in den Wahnsinn getrieben.
Die Sonne sank tiefer hinter den Spitzenvorhängen, und Sam klopfte an meine Tür. »Es ist nur noch eine Stunde bis Sonnenuntergang. Dann beginnt die Maskerade. Falls du dich fertig machen willst.«
Ich hatte ein Kratzen im Hals, als ich sprach. »Geh ohne mich.«
Es folgte eine lange Pause, und seine Silhouette bewegte sich hinter den Seidenwänden. »Du willst nicht hingehen?«
»Identitäten sollen doch ein Geheimnis sein.« Ich wünschte mir verzweifelt, für eine Weile jemand anderer zu sein, wünschte mir, dass niemand wusste, wer ich war. Was ich war. Seelenlos.
»Oh, in Ordnung.« Seine Schritte zogen sich zurück, und als ich Geräusche aus seinem Schlafzimmer hörte, ging ich in mein Badezimmer, um mich umzuziehen.
Ich trug Flügel aus Seide, die über ein Drahtgestell gespannt waren. Sie waren an einem Kleid aus synthetischer Seide befestigt, viele Lagen aus dunklem Ozeangrün und Blau, die mir von den Schultern bis zu den Knien fielen.
Mein Haar steckte ich in einen Kranz aus Blumen und Bändern hoch, wobei es hinten lang und locker zwischen den Flügeln herabhing. Ich verrieb Kajal auf den Augenlidern, damit das Schwarz zu den Spiralen passte, wenn ich die Maske aufsetzte.
Lilafarbene, blaue und grüne Seide wirbelte über mein Gesicht. Schmetterlingsflügel.
Ich nahm das winzige Messer, das Sam mir gegeben hatte, und steckte es mir ins Haar, in die Krone aus Blumen und Bändern. Selbst dieses geringe Gewicht würde mich vielleicht belasten, aber ich hatte die nächtlichen Schritte nicht vergessen.
»Ich gehe jetzt«, sagte Sam aus dem Flur.
Das Licht gelöscht, so dass er meinen Schatten nicht sah – meine Flügel würden mich verraten –, antwortete ich: »Wir sehen uns dort.«
»Woher willst du wissen, wer ich bin?«
Manchmal würde ich ihm am liebsten eine kleben. »Ich habe mir dein Kostüm nicht angeschaut. Ich wollte dir eigentlich nur sagen, dass ich euch draußen hören konnte. Es ist
nicht meine Schuld, dass ihr beide so laut redet.« Oder über mich gesprochen habt, als ich nicht dabei war.
»Das habe ich nicht gefragt.« Seine Stimme brach. »Nichts davon war je eine Frage. Bei Janan, du bist der verletzlichste Mensch, der mir je begegnet ist.«
Meine Unterlippe würde dauerhafte Abdrücke bekommen, wo ich ständig daraufbiss. Diesmal biss ich stattdessen in die Oberlippe.
»Sei vorsichtig,
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