Das Meer der Seelen Bd. 1 - Nur ein Leben
wenn du zum Marktplatz gehst.« Schritte entfernten sich in Richtung Treppe.
»Sam.« Ich kam mir vor, als würde ich ersticken. Oder ertrinken. Vielleicht etwas von beidem. Er blieb jedenfalls stehen. »Du hast gefragt, wie ich wissen würde, wer du bist.«
Schweigen.
»Ich werde es immer wissen.«
Eine Minute später schloss sich die Haustür, und ich war allein im Bad, nur das Bild einer Fremden im Spiegel. Als ich dachte, dass er genug Zeit gehabt hatte, die Südallee zu erreichen, überprüfte ich noch einmal den Sitz meiner Maske und des Messers, dann schlüpfte ich seitwärts durch die Türen, weil ich mit meinen Flügeln nicht geradeaus gehen konnte.
Als ich das Haus verließ und Dunkelheit mich umfing, versuchte ich, mir vorzustellen, wie ich mich heute Abend amüsierte, wie ich lächelte und lachte und vielleicht beim letzten Tanz in jemandes Armen lag, als sei der Zauber der Maskerade echt und könne einem helfen, seinen Seelengefährten zu finden.
Ich konnte mir nicht auch nur eines dieser Dinge vorstellen, aber das war in Ordnung.
Heute Abend war ich nicht Ana.
KAPITEL 21
Maskerade
Kühle Luft umspielte mein Kleid und kräuselte die Säume um meine Waden. Der Wind drückte gegen meine Flügel, daher kostete jeder Schritt mehr Kraft als sonst. Es verunsicherte mich, aber als ich den Marktplatz erreichte, hatte ich mich fast wieder gefangen. Hätte ich nur die Weitsicht gehabt, dieses Problem in den Tanzstunden zu üben.
Der Marktplatz war glanzvoll erleuchtet von silberfarbenen Lichtern aus dem Rathaus und von Masten, die über den Platz verteilt waren. Der Tempel leuchtete. Ich ignorierte das ebenso geflissentlich wie das Ziehen im Magen, das mir dieses Leuchten verursachte.
Menschen in Kostümen fanden sich ein, als sich der Abend herabsenkte. Habichte, Bären, Gabelböcke. Einer hatte sich als Troll verkleidet – wie geschmacklos –, und ein Fischadler flirtete mit jedem.
Der Marktplatz füllte sich mit leuchtend bunten Fischen und Frettchen. Ein Spatz jagte eine Eidechse, und sie umarmten sich. Hunderte von Menschen ergossen sich wie ein kostbar funkelnder Schwarm über den Platz.
Ich sah zu dem Treppenende des Rathauses, wo Tera und Ash später einander neu gewidmet werden würden. Nur ein Rotkehlchen und eine Hauskatze streiften dort jetzt umher und drehten an irgendwelchen Reglern.
Das Rotkehlchen trat an ein Mikrofon und räusperte sich.
Meurics Stimme drang aus den Lautsprechern, die an den Leuchtmasten befestigt waren. »Heute Abend feiern wir die Neuwidmung zweier Seelen.«
Die kostümierten Gäste drehten sich alle auf einmal zu ihm um. Ich steckte am hinteren Rand fest und konnte nicht viel sehen, fragte mich jedoch, was die Menschen auf der anderen Seite des Tempels taten, wohin sie schauten. Das Fest fand auf dem ganzen Marktplatz statt.
»In jeder Generation werden unsere Seelen in neuen und unvertrauten Körpern wiedergeboren, ebenso wie die Seelen jener, die wir lieben. Selten geht romantische Liebe über Wiedergeburten hinaus. Selten. Einige Seelen wurden jedoch als zusammengehörige Paare geschaffen. Jene von Janan gesegneten Partnerschaften haben über Jahrhunderte angedauert. Jahrtausende. In jeder Generation fühlen sich diese Seelen zueinander hingezogen. Ihre Liebe ist rein und wahr. Heute Abend feiern wir den Bund zwischen Tera und Ash. Während sie einander in diesem Meer unvertrauter Gesichter suchen, lasst uns alle daran denken, dass Janan uns aus einem Grund erschaffen hat: einander zu schätzen und zu lieben.«
Er trat zurück, als die Eröffnungsakkorde einer Pavane aus den Lautsprechern klangen und Lichter den Marktplatz in einen träumerischen Schimmer tauchten. Interessant, dass Meuric seine Ansage nicht gemacht hatte, bevor er sich umgezogen hatte. Es bestärkte meine Vermutung, dass ich die Einzige war, die heute Abend anonym bleiben wollte.
Zumindest wusste ich, wie Meuric gekleidet war, daher würde ich ihm aus dem Weg gehen können.
Als die Musik spielte, suchten sich die Menschen Tanzpartner. Diese Pavane war keine von Sams Kompositionen, aber sie war hübsch, anders als das, was ich sonst hörte. Ein Chor aus Streichern und Holzbläsern erfüllte die Luft.
Ich hielt mich am Rand der Tänzer, obwohl immer wieder jemand gegen meine Flügel stieß. Einige murmelten Entschuldigungen, während die meisten es entweder gar nicht bemerkten oder mir unter ihren Masken verärgerte Blicke zuwarfen. Ich kam mir ziemlich idiotisch vor, etwas so
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