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Das Meer Der Tausend Seelen

Das Meer Der Tausend Seelen

Titel: Das Meer Der Tausend Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carrie Ryan , Catrin Frischer
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Handgemenge, dann laufen sie endlich gemeinsam an mir vorbei durch das Tor, bemerken mich jedoch nicht in den Schatten. Odys folgt ihnen auf den Fersen. Etwa einen Meter neben dem Rekruter, der sich wieder hochrappelt, sehe ich den Einband des Buches auf dem Boden liegen. Es sind immer noch Seiten darin. Ich schaue zum Zaun, zu den Mudo, die angeschwärmt kommen.
    Und dann halte ich die Luft an, renne und rutsche über den Boden. Als ich nah genug dran bin, strecke ich die Arme aus, kralle die Finger ins Buch und raffe es an mich. Der Rekruter stürzt sich auf mich, schätzt aber die Entfernung nicht richtig ein und verfehlt mich.
    Ich springe auf. Gerade, als ich mein Gleichgewicht gefunden habe, zieht etwas an meinem Zopf und reißt mir den Kopf nach hinten. Ich stolpere, das Buch rutscht mir im Fallen weg, meine Hand geht zum Messer an meinem Gürtel. Aber ich falle darauf, und es bleibt unter mir liegen.
    Ich höre das Stöhnen und blinzele Dreck aus den Augen. Etwas Warmes spritzt mir übers Gesicht. Ich drehe den Kopf und sehe eine Mudo-Frau, die ihre Zähne in den Rekruter schlägt, den Mund zu einer Grimasse des Grauens verzerrt. Er schreit, schlägt um sich, schubst sie weg.
    Mudo sind keine Raubtiere. Sie jagen nicht. Sie töten nicht und essen dann. Haben sie das Blut eines Menschen gekostet, sind sie nicht zufrieden, wenn noch weitere in der Nähe sind.
    Mudo wollen anstecken. Sie müssen anstecken. Das heißt, wenn sie einen weiteren Lebenden wahrnehmen, einen nicht Infizierten, wird der ihr nächstes Ziel. Und jetzt gleich werde ich dieses neue Ziel sein.
    Die Mudo-Frau lässt vom Rekruter ab, die Ansteckung lodert schon durch seinen Körper. Mit blutigen Lippen wendet sie sich mir zu.
    Und da erkenne ich sie. Cira.
    Zeit ist nichts. Raum bedeutungslos. Ich warte auf den Funken des Wiedererkennens zwischen uns, warte darauf, dass sich der Nebel der Erinnerungen über ihre Augen legt, dass irgendetwas in ihr Nein sagt, sie zögern lässt, das Grauen dieses Augenblicks zunichtemacht.
    Etwas Menschliches muss doch noch in Cira stecken. Wie kann der Tod alles auslöschen? Wie kann hier derselbe Körper gehen, dasselbe Hirn existieren und nichts von dem zurückbehalten haben, was er gewesen ist? Ich will so gern glauben, dass die Soulers recht haben, dass doch noch etwas übrig ist.
    Ich trete um mich. Schleppe mich über den Boden. Ich kralle meine Finger in den Sand. Tue alles, um von ihr wegzukommen.
    Sie torkelt auf mich zu, streckt die Hände aus. Hände, die mein Haar berührt haben. Hände, die meine Hände gestreichelt haben.
    Meine beste Freundin ist wirklich weg. Alles an ihr, jede Erinnerung, jede Vorstellung, jeder Traum.
    Weg. Tot. Für immer.
    Ihre Fingerspitzen streifen mein Gesicht. Das ist mir so vertraut. Aber sie sind kalt. Ich zucke zurück. Ich schlage um mich. Trete. Aber ich strauchele. Die Nacht ringsum dreht sich, und Cira kommt immer näher.
    Und dann bleibt sie stehen, ihr Kopf schnellt nach hinten. Zähne schimmern in der Nacht, Finger schlagen sich gekrümmt in die Luft.
    Mein Herz gerät ins Stolpern, der Atem setzt aus. Ich schaue an ihr vorbei und sehe, dass ihr Zopf um die Hand des Rekruters geschlungen ist. Sein Handgelenk und sein Arm sind blutverschmiert, sein Gesicht vom Schmerz verzerrt.
    »Geh«, sagt er, über Ciras Stöhnen ist es kaum zu hören. »Geh«, wiederholt er lauter.
    Ich weiß nicht, warum er mich entkommen lässt, warum er mir Cira vom Leib hält. Vielleicht hat er eine kleine Schwester mit blondem Haar, vielleicht ist er in Vista aufgewachsen, und ich erinnere mich nur nicht an ihn. Aber der Grund spielt keine Rolle, das Buch fest umklammert, husche ich davon. Auf dem Weg zum Tor schaue ich mich nicht um. Ich will Cira nicht sehen, will nicht mitanschauen, wie sie wieder auf den Rekruter losgeht und ihre Zähne noch einmal in sein Fleisch schlägt, will das Geräusch nicht hören, wenn er sie tötet.

40
    M it zitternden Fingern stopfe ich die Überreste des Buchs in meinen Rockbund, das Hemd lasse ich flattern. Ich schlüpfe durch die Pforte, meine Mutter eilt auf mich zu und schaut mir lange in die Augen – als könnte sie mit einem Blick feststellen, ob mit mir alles in Ordnung ist oder ob ich verletzt bin.
    Ich will ihr sagen, dass ich noch nie in meinem Leben so verletzt war wie jetzt. Meinem Körper geht es gut, aber der Rest von mir ist verloren. Meine beste Freundin ist ein Monster.
    Was können wir überhaupt erwarten angesichts von so viel Tod,

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