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Das Meer Der Tausend Seelen

Das Meer Der Tausend Seelen

Titel: Das Meer Der Tausend Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carrie Ryan , Catrin Frischer
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leuchtend weiß in der Nacht. Ich will mich von ihm wegrollen, doch er drückt meine Beine fest auf den Boden. »Beweg dich nicht«, sagt er.
    Ich nicke, mein Herz hämmert. Wo ist er jetzt hergekommen, frage ich mich. Wie und warum ist er hier? Hat er uns die ganze Zeit beobachtet und belauscht? Er kriecht neben mir vor, bis er seinen Oberkörper in die Schwärze schieben kann. »Elias!«, ruft er.
    Ich rutsche vom Abgrund zurück. »Du musst ihn holen, Catcher. Ihm darf nichts passiert sein. Du musst dich darum kümmern, dass er okay ist«, bettele ich. Ich sehe nur noch Elias’ Gesicht vor mir, kurz bevor er gefallen ist. Wenn ich ihm doch die Hand hingestreckt hätte. Wenn ich irgendwas gesagt hätte. Was auch immer. Ich kneife die Augen zu, versuche den Gedanken zu verdrängen.
    Immer wieder gehen mir die gleichen Worte durch den Kopf: Elias ist weg, Elias ist weg, Elias ist weg.
    Ich mahle mit den Kiefern, spüre die Schmerzen in den Zähnen. Elias ist weg. Er hat gesagt, er liebt mich, und jetzt ist er weg.
    Und dann höre ich etwas. Es ist nicht mal ein Geräusch, doch ich weiß, dass es da ist. Genauso wie man das Sirren einer Mücke wahrnimmt, bevor sie sticht. Ich krieche wieder an die Abbruchkante. »Elias!«, kreische ich, als Catcher den Arm auf mich wirft, um mich zurückzuhalten.
    Ich bohre die Finger in den Boden und halte die Luft an. Ich warte. Ich höre ihn.
    »Elias«, rufe ich noch einmal. »Elias, bist du in Ordnung? Wo steckst du? Was ist passiert?«
    Mit gepresster Stimme ruft er zurück: »Ich hänge irgendwo fest. Ich kann nichts sehen.«
    Vor Erleichterung keuche ich und schlucke die Schluchzer hinunter. »Ist alles okay mit dir?«
    Er zögert. In der Stille kann ich das Stöhnen der Mudo auf der anderen Seite des an den Pfad grenzenden Zaunes hören. »Elias!«, rufe ich wieder in Panik, denn ich befürchte, dass er noch weiter hinabgefallen oder ohnmächtig geworden sein könnte.
    »Ich bin hier, Gabry«, sagt er. Jetzt klingt er schwächer. Und ich weiß nicht, warum er mir nicht sagen will, ob er sich verletzt hat.
    Ich drehe mich zu Catcher um und packe ihn am Hemd. »Du musst ihn holen«, sage ich verzweifelt. Ich weiß, was ich von ihm verlange. Ich weiß, dass ich ihn bitte, sein Leben für einen anderen aufs Spiel zu setzen, der mich liebt. Für den Mann, den ich ihm vorgezogen habe. »Bitte, Catcher, bitte, du musst mir helfen, ihn zu holen.«

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    C atcher zögert nicht. Er nickt nur und springt über den Zaun neben dem Pfad, dann läuft er in die Wälder. Ich schaue mich um, taste den Boden mit den Händen ab und versuche, irgendetwas Nützliches zu finden. Irgendetwas, mit dem man Elias hochziehen kann. Aber da ist nichts. Links und rechts von mir endet der Zaun einfach, der Pfad fällt ins Leere.
    Catcher kommt mit dem wenigen trockenen Holz und Blättern zurück, die er auftreiben konnte. Harry und meine Mutter holen uns schließlich ein und helfen ihm beim Aufschichten. Verzweifelt versuchen sie ein kleines Feuer zu entzünden, damit wir Licht haben. Odys läuft im Kreis um sie herum und versucht, Catcher auf die Zäune zu zu treiben, doch irgendwann setzt er sich neben mich, winselt und stupst meine Hand mit seiner kalten Nase.
    Am Rand des Pfades lasse ich meinen Kopf ins Nichts hängen. Der Wind weht mir das Haar ins Gesicht. »Elias, hörst du mich?«, frage ich. Ich lausche, höre ihn ächzen. Hinter mir versuchen die anderen murmelnd weiterhin, das Feuer anzufachen und zum Leben zu erwecken. Aber alles ist vom Regen durchweicht.
    »Elias, du musst aushalten«, sage ich. »Bitte, hör auf mich. Du musst meinetwegen aushalten. Bitte, tu es für mich. Es tut mir leid.« Ich hätte ihn an mich ziehen sollen, ihn packen und noch einmal küssen. Dann wäre er nicht gefallen.
    Ich schließe die Augen und wünsche mir Sonne. Wie oft habe ich darum gebeten, die Erde möge sich langsamer drehen und mich zurückbringen – und jetzt wünsche ich mit aller Kraft den Sonnenaufgang herbei.
    Unter mir in der Dunkelheit sind Geräusche zu hören, die ich bisher nicht wahrgenommen hatte. Es klingt, als ob unten am Abhang ein Fluss tosen würde. Das Geräusch ebbt ab und vermischt sich mit dem Stöhnen der Mudo, das Odys so unruhig macht, dass er hin und her läuft. Ich kann Elias nicht mehr hören, und die Panik bringt mich ins Schwitzen.
    Es ist fast Morgen. Ich merke es am Geschmack der Luft, an den Vögeln, die sich in den Bäumen regen. Jetzt wird der Tag gleich anbrechen und uns

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