Das Meer Der Tausend Seelen
nichts weiter tun, als Elias anzustarren – sein Bein, das nicht gut aussieht, das gebrochen und verdreht ist, und sein Gesicht, aschgrau und schmerzverzerrt.
Meine Mutter zieht ihm das Hemd aus, das jetzt voller Blutflecken ist, und gibt es Catcher, damit er es auf eine große Wunde an Elias’ Seite drückt. Harry sucht in den Rucksäcken nach Wasser und Kleidungsstücken, die sich zu Verbänden zerreißen lassen. Meine Mutter läuft ans glimmende Feuer und holt sich zwei Stöcke. Mit finsterer Miene legt sie sie neben Elias’ Bein. Dann, die eine Hand an seinem Fußknöchel, die andere am Knie, holt sie tief Luft – und schon höre ich das Knacken. Elias reißt die Augen weit auf, sein Körper bäumt sich auf und streckt sich.
Die Mudo drücken sich gegen den Zaun, sie riechen das Blut, brauchen es. Ihr Stöhnen vermischt sich mit den Echos, die über den Hang heranwehen, uns umzingeln und das Denken schwer machen.
»Wird er wieder gesund?«, frage ich leise. Ich versuche, nicht im Weg zu sein, während meine Mutter Elias’ Wunden behandelt.
Keiner schaut zu mir hoch. Keiner antwortet. Elias keucht laut und ächzt vor Schmerz.
Ich denke an die Schnittwunden auf Ciras Armen. Das Leben auf dem Pfad hat die Blutvergiftung ausgelöst, an der sie gestorben wäre. Auch Elias könnte daran sterben, wenn er nicht jetzt schon zu viel Blut verloren hat. Ich schlucke angestrengt und versuche solche Gedanken auszublenden. Ich will mich auf das Hier und Jetzt konzentrieren und mir keine Sorgen darum machen, was nun kommt. Denn ich weiß nicht, was nun für uns kommen kann. Mit so einem Bein. Mit den Rekrutern auf den Fersen.
Elias’ Blut rinnt auf den Boden. Am liebsten möchte ich es aufnehmen und mit Gewalt wieder in ihn hineinzwängen – irgendetwas tun, um diese Lage zu verbessern.
»Komm, und halt das.« Meine Mutter ruft mich zu sich. Ich knie mich neben sie. »Drück fest hier drauf.« Sie legt meine Hand auf das Hemd. Ich nicke und merke, dass der Stoff schon feucht ist von Elias’ warmem Blut. Sie zieht Catcher den Pfad hinunter zu Harry, und sie sprechen leise miteinander. Obwohl ich sie nicht hören kann, weiß ich, was los ist.
Sie überlegen sich, was wir jetzt machen sollen. Elias wird nicht gehen können, das ist ausgeschlossen.
Mich lassen sie bei Elias sitzen. Bei seinem Blut. Bei den Mudo, die sich rhythmisch gegen die Zäune werfen. Ich wische mir die Wange an der Schulter ab, Tränen, Schweiß und Schmerz. Odys liegt neben mir, er wärmt mir das Bein, als ob er mir Trost spenden wolle.
Ich starre auf Elias’ verzerrtes, gerötetes Gesicht, nehme seine Hand und rücke dicht an ihn heran. »Elias?«, murmele ich. Ich will nicht wahrhaben, dass das hier tatsächlich passiert. Selbst wenn wir irgendetwas bauen würden, worauf wir ihn tragen könnten, bin ich mir ziemlich sicher, dass er nicht weiterkönnte. Er ist zu schwer verletzt. Er würde es nicht schaffen.
Ich weiß nicht mal, ob wir überhaupt weiterkommen können, jetzt, nachdem der Pfad weggespült wurde.
Er öffnet ein Auge einen Spaltbreit. Alles an ihm ist vor Schmerz verkrampft, jeder Muskel ist steif. »Du musst gehen«, sagt er undeutlich. »Die Rekruter.«
Ich schüttele den Kopf, ziehe die Schultern hoch und versuche ruhig zu atmen. Meine Tränen lassen alles verschwimmen, doch er soll das nicht sehen. Ich will stark für ihn sein, ich brauche ihn, um Hoffnung zu haben. »Wir schaffen das schon«, antworte ich.
»Sag ihnen, sie sollen dich zwingen zu gehen.« Er gibt meiner Schulter einen Schubs. Meine Hand rutscht vom Verband an seiner Seite ab. »Catcher!«, ruft Elias laut.
Catcher kommt angerannt. Ich schüttele den Kopf und kämpfe gegen Elias an. »Hör auf«, sage ich. Er verbraucht zu viel Energie, er könnte sich noch mehr Schaden zufügen.
»Nimm sie«, befiehlt Elias. Seine Augen sind weit aufgerissen, seine Stimme hat etwas Drängendes. »Du musst sie zwingen zu gehen. Die Rekruter werden sie benutzen, um die Kontrolle über dich zu bekommen. Sie dürfen keinen von euch erwischen.«
Catcher schaut mich an, doch ich sehe Elias an, dem ich wieder die Hände auf die Seite drücke. Ich werde mich nicht von ihm wegschubsen lassen. Nicht so, wie Catcher das getan hat. Elias darf mich nicht aufgeben, ich will das nicht. »Ich gehe nirgendwohin«, erwidere ich.
Elias wendet sich an Catcher. »Ich bin Rekruter. Lasst mich hier. Sie werden sich um mich kümmern. Das müssen sie. Sie haben den Eid geschworen.«
»Du
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