Das Meer Der Tausend Seelen
Mund, die Augen weit aufgerissen, kann nicht glauben, was ich getan habe. Ich drehe mich um und gehe weiter, versuche, Wut und Kummer in den Griff zu bekommen und die Realität unserer Lage zu ignorieren. Kurze Zeit später holt er mich ein. Als ich gerade über einen großen Schutthaufen klettern will, höre ich ihn hinter mir seufzen. »Tut mir leid«, sagt er, und ich bleibe stehen, mein Fuß steckt zwischen zwei Felsbrocken fest, mit den Händen klammere ich mich an eine eingestürzte Mauer.
Langsam lasse ich los, rutsche auf den Boden und gebe dem Schutthaufen frustriert einen Tritt. Ich will immer weiter fallen, will durch das Pflaster in die Erde hineingleiten und ewig schlafen, so als ob nichts von alldem je geschehen wäre. Ich will, dass Schmerz und Angst aufhören.
Aber die Entschuldigung dieses Jungen will ich nicht akzeptieren. Denn das würde bedeuten, dass ich die Wahrheit annehme: dass Catcher nicht mehr viel Zeit bleibt, bevor er verloren ist.
»Du musst verstehen, es ist nicht sicher für ihn hier draußen. Für keinen von uns. Wenn er sich wandelt … in den Ruinen sind nicht genug andere Ungeweihte …« Seine Worte verlieren sich in der Dunkelheit.
»Was dann?«, frage ich ihn und stemme die Hände in die Hüften, bohre meine Finger in das weiche Fleisch, bis ich die darunterliegenden Knochen spüre.
Mit zusammengezogenen Brauen und aufeinandergepressten Lippen starrt er mich an. »Du weißt, was geschieht, wenn ein Angesteckter sich wandelt, während nicht genug Ungeweihte in der Nähe sind«, sagt er so, als schmerze es ihn, mich daran erinnern zu müssen.
Ich schließe die Augen und denke an den Breaker von letzter Nacht und an Mellie. Wie schnell sie rannten, wie vollkommen außer Kontrolle sie waren. Plötzlich sehe ich Catcher genau so vor mir … und ich schüttele den Kopf, um das Bild wieder loszuwerden. Ich will nicht mehr über Catcher und seine Ansteckung reden.
»Wer bist du?«, frage ich ihn. »Warum bist du allein hier draußen in den Ruinen? Du hast gesagt, du suchst jemanden.«
Er ballt die Fäuste und wendet sich von mir ab, starrt zurück in die Stadt und schaut dann wieder mich an. Seine Schultern lockern sich ein wenig. »Spielt keine Rolle«, sagt er. Seine Stimme klingt alt und müde. »Ich weiß nicht, ob ich sie je finden werde.«
Ich stehe auf und gehe zu ihm, will ihn trösten. Will, dass mir etwas einfällt, das ihm Hoffnung gibt, denn ich muss daran glauben können, dass es immer noch Hoffnung geben kann. Aber ich bringe die Worte nicht über die Lippen. Zu viel ist am vergangenen Tag geschehen, das die Rolle, die Träume in dieser Welt spielen, infrage stellt.
Ich wende mich von ihm ab und beobachte das Blinken des Leuchtturms in der Nacht. Dort sollte ich jetzt sein, gut zugedeckt im Bett und sicher. Ich hätte nie weggehen sollen. Ich klettere weiter über den Schutthaufen, will wieder nach Hause zurück.
»Nimm lieber nicht diesen Weg«, sagt er. »Die Männer aus deiner Stadt patrouillieren noch.«
»Ich dachte, sie hätten aufgegeben«, erwidere ich. Erschöpfung frisst sich durch meine Knochen. »Ich muss irgendwie zu meinem Boot kommen.«
Er schüttelt den Kopf: »Es sind immer noch Ungeweihte an diesem Strandabschnitt.«
Ich sacke auf den Steinen zusammen und lasse den Kopf in die Hände sinken, meine Glieder sind schwer und erschöpft. Ich sitze in der Falle. Wenn sie es nicht schon gemerkt hat, wird meine Mutter spätestens morgen früh wissen, dass ich nicht nach Hause gekommen bin, und dann werden sie bald nach mir suchen. Wenn ich hier draußen gefunden werde, schicken sie mich mit den anderen zu den Rekrutern.
Als ich den Kopf endlich hebe, ist Elias immer noch da. Er atmet tief ein und streckt mir die Hand hin. »Wenn ich dich nach Hause bringe, darfst du nicht wieder zurückkommen«, sagt er und zieht mich hoch.
»Gut«, antworte ich. Es ist noch zu früh, an morgen zu denken. Einen Moment lang sieht er mir in die Augen. »Es ist zu gefährlich, Gabrielle«, sagt er. Seine Hand schwebt eine Weile über meinem Handgelenk, so leicht und sanft, dass ich den Unterschied zwischen der heißen Nachtluft und seiner Wärme nicht ausmachen kann.
»Versprich es mir«, drängt er.
Ich spüre, wie ich mich zu ihm hinüberlehne, als ob er das einzige Licht in der Dunkelheit wäre. Ich nicke, bin nicht willens, meine Lüge in Worte zu fassen. Dann dreht er sich um, lässt meine Hand fallen und geht auf den Strand zu.
Hinter den Dünen kann ich die
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