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Das Meer Der Tausend Seelen

Das Meer Der Tausend Seelen

Titel: Das Meer Der Tausend Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carrie Ryan , Catrin Frischer
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musste.
    Ich hätte nicht gedacht, dass es so schwer sein würde, Catcher gegenüberzutreten. Aber jetzt stehe ich hier, starre ihn an und verstehe, warum meine Mutter sich fürs Vergessen entschieden hat. Wie viel leichter wäre es gewesen, in der Stadt zu bleiben und zu vergessen – die Barriere und Catcher und was ich für ihn empfinde.
    Da fällt mir wieder ein, dass sie ja nicht meine Mutter ist, und der Raum fängt an, sich rasend schnell zu drehen. Es gibt keine heiligen Erinnerungen. Catcher kommt mit ausgestreckter Hand auf mich zu. »Ist alles in Ordnung mit dir?«, fragt er – und ich packe ihn und halte mich an ihm fest.
    Die Dinge sollen sich nicht so sehr ändern. Das will ich nicht. Ich will zurück zur letzten Nacht. Da habe ich mir nur Gedanken darüber gemacht, wie ich Catcher küssen sollte. Da war meine Mutter noch meine Mutter, die Welt schien sich endlich zu öffnen, das Leben war noch nicht so außer Kontrolle geraten.
    »Wie geht es Cira?«, fragt er. Mit starren Schultern wartet er auf meine Antwort. Ich zögere. »Bitte, sag mir, dass es ihr gut geht. Dass sie nicht …« Er spricht nicht weiter, aber wir wissen beide, was er sagen will.
    »Nein«, sage ich, schaue auf meine Finger, zum Fenster, sonstwohin, nur nicht in seine Augen. »Sie ist nicht verletzt. Sie ist wieder in der Stadt.« Ich schlucke, ehe ich sage: »Es ist alles okay mit ihr.«
    Die Erleichterung übermannt ihn, er sackt an der Wand zusammen.
    »Bitte, komm nach Hause«, bettele ich. Ein Gefühl steigt in mir auf, geht mir unter die Haut. Wenn ich ihn nach Hause bringen, ihn gesundpflegen könnte, dann würden wir schon einen Weg finden, diesen letzten Tag auszulöschen. Wir finden schon heraus, wie wir zur letzten Nacht zurückkommen und wie alles anders ablaufen kann.
    Dieses Mal könnten wir eine andere Wahl treffen, wenn wir uns oben auf der Barriere gegenübersitzen. Ich könnte meiner Angst nachgeben, seine Hand nehmen und ihn wieder nach unten ziehen, zurück nach Vista. Wir könnten beide in Sicherheit sein. Und hier wären wir dann nie gelandet, mit diesem Augenblick wären nie konfrontiert worden.
    Aber das würde natürlich nichts daran ändern, dass meine Mutter nicht meine richtige Mutter ist. Es würde nichts daran ändern, dass ich nicht ihre leibliche Tochter bin. Dass ich überhaupt nicht mehr weiß, wer ich bin. Auch wenn es die letzte Nacht nie gegeben hätte, wäre ich trotzdem verloren.
    »Ich kann nicht nach Hause kommen«, sagt er mit dem Mund in meinem Haar. Es klingt fast wie ein Stöhnen.
    »Bitte«, flüstere ich. Alles in mir schreit, verzweifelt wünsche ich mir, alles möge doch anders sein.
    Ich kann fühlen, wie sein Körper zittert, wie sich seine Brust heftig hebt und senkt, wie er in meinen Armen schluchzt.
    »Ich habe Angst, Gabry.«
    Meine Brust tut weh. Ich stelle mir vor, wie er gestern Nacht den Weg hierher gefunden hat. Wie er durch die Dunkelheit gestolpert ist, verängstigt und blutend. Wie er den Tag hier verbracht, den Lauf der Sonne über den Himmel durch das leere Fenster verfolgt hat. Glühend heiß vom Fieber. Allein. In Todesangst. Was würde ich wohl an seiner Stelle tun? Wie würde ich meine letzten Tage verbringen, wenn ich wüsste, was als Nächstes kommt?
    »Ich bleibe hier bei dir«, sage ich. »Ich gehe erst wieder, wenn …« Ich kann den Satz nicht beenden.
    »Du bekommst zu viel Ärger.« Jede seiner Tränen versengt mich.
    Ich denke an Cira und die anderen im Käfig. Soll ich Catcher von ihnen berichten? Oder würde das seinen Schmerz nur vergrößern? Er kann nichts für sie tun, das können wir beide nicht.
    »Du musst nach Hause gehen«, sagt er. »Sonst macht deine Mutter sich Sorgen – und vielleicht ruft sie die Miliz.«
    Ich spüre, wie mich die Wut von vorhin wieder durchdringt. Ich weiß nicht, ob ich ihr gegenübertreten kann. Zu viele Fragen schwirren in mir herum. Ob meine echte Mutter sich wohl auch gefragt hatte, warum ich nicht nach Hause gekommen war? Könnte es sein, dass sie noch immer da draußen im Wald nach mir sucht und sich Gedanken um mich macht?
    Catcher tritt zurück, der Lichtstrahl vom Leuchtturm scheint rhythmisch zwischen uns auf und zeigt an, wie die Zeit verrinnt, die ihm noch bleibt.
    Er hat recht – wenn ich nicht nach Hause gehe, wird meine Mutter die Miliz hinter mir herschicken. Ich wäre in ebenso großen Schwierigkeiten wie Cira und die anderen, wenn nicht sogar in noch größeren. »Ich komme morgen Abend wieder«, sage

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