Das Meer Der Tausend Seelen
noch einen vierten Tag haben. Daran muss ich glauben, damit ich mich hier nicht auflöse und vom Regen weggespült werde.
Während der Sturm durch die Nacht wütet, koche ich am Herd Wasser für die Miliz, brühe heißen Tee und backe frisches Brot und versuche mir vorzumachen, dass der Mann, den ich hätte lieben können, nicht irgendwo da draußen stirbt.
Die Milizionäre lachen. Sie klatschen die Hände aneinander und reden von ihren Erfolgen, manchmal flüstern sie Unflätiges. Ich weiß nicht, ob sie mich absichtlich mithören lassen. Daniel ist der Schlimmste. Für die Milizionäre ist das ein Festtag, selten bietet sich ihnen die Gelegenheit, so viele Untote zu beseitigen. Nur in den größten Stürmen werden so viele Körper hochgespült und ans Ufer geworfen.
Der Wind draußen heult, ich versuche zu lächeln. Sie tun so, als wäre ich wie sie, als würde ich an das glauben, was sie machen. Glauben, dass die Mudo nichts als Monster sind. Aber dann denke ich an Catcher, und all meine Überzeugungen geraten ins Wanken. So kann ich nicht von ihm denken, ich weigere mich zu akzeptieren, dass er wie all die anderen Mudo sein könnte. Es kann gar nicht sein, dass er sich nicht irgendwo noch an mich erinnert.
Am nächsten Tag hat sich der Sturm noch nicht gelegt. Er wird sogar noch stärker. Sogar die Milizionäre sehen langsam etwas mitgenommen aus. Ich gebe vor, Tabletts für meine Mutter herzurichten, gehe jedoch nicht auf Hilfsangebote oder höfliche Fragen nach ihrer Gesundheit ein.
Die Tabletts trage ich die Wendeltreppe zu ihrem Zimmer hinauf, setze mich auf ihre Bettkante, schaue aus dem Fenster auf den sturmgepeitschten Ozean hinaus und esse, was ich für sie zubereitet habe.
Auf gar keinen Fall wird Catcher diese Nacht überstehen. Das weiß ich ebenso gut, wie ich weiß, dass es niemals eine Welt ohne die Mudo geben wird. Ich fühle mich leer, wenn ich an ihn denke. Mehr als leer.
Catcher wird allein sterben. In einem leeren Raum in einer leeren Stadt. Er ist der erste und einzige Junge, den ich meinte lieben zu können, der Erste, der in mir etwas gesehen hat, das Aufmerksamkeit wert war. Und ich bin mir nicht sicher, ob ich noch einmal jemanden wie ihn finden werde, jemanden, den ich so lange gekannt habe, dass Vertrauen etwas so Selbstverständliches ist wie Luftholen.
Es klopft an der Tür. Der Teebecher, den ich mit beiden Händen gehalten habe, fällt herunter. Die heiße Flüssigkeit spritzt auf mein Bein, der Becher zerbricht auf dem Boden.
Ich sehe, wie sich der Türknauf dreht, höre meinen Namen. Mit einem Sprung bin ich an der Tür, drücke meinen Körper dagegen. Dann schiebe ich mich durch einen Spalt nach draußen und schließe die Tür gleich wieder hinter mir. Mein Bein brennt von der heißen Flüssigkeit, aber das will ich mir nicht anmerken lassen. Auf meiner Oberlippe steht schon der Schweiß, weil ich mich so anstrenge, entspannt und lässig zu wirken.
Es ist Daniel, ich zwinge mich zu einem Lächeln, das wahrscheinlich eher wie eine Grimasse wirkt. Er tritt nicht zurück, um mich durchzulassen, weshalb ich gegen die Tür gequetscht werde. Aufmachen kann ich sie nicht, um uns mehr Platz zu verschaffen, sonst würde er das leere Bett meiner Mutter sehen und wissen, dass sie nicht da ist.
»Wie geht es deiner Mutter?«, fragt er und tut so, als wäre er nur höflich.
»Sie ruht.« Er soll mir glauben. Allein mit ihm hier oben fühle ich mich unsicher, ich kann mir nicht erklären, warum er unbedingt wissen will, wo meine Mutter ist. »Der ganze Lärm war nicht gut für sie.«
Er schaut mir über die Schulter, als wolle er durch das Holz sehen. Er nickt. »Sicher«, sagt er wenig überzeugend.
Er rührt sich nicht, und ich habe Angst, ihn hier allein zu lassen, Angst vor seinem offensichtlichen Misstrauen. »Die anderen«, antworte ich um einen ruhigen Eindruck bemüht, ganz so, als hätte ich keine Angst vor ihm, »fragen sich sicher schon, wo wir sind. Sie brauchen sicher frischen Kaffee, ich kümmere mich besser darum.«
Daniel lächelt mich an, als würde er auf mein merkwürdiges Verhalten eingehen. »Okay, Gabrielle«, sagt er. Einen Augenblick bleibt er noch stehen, die Luft um uns herum ist erdrückend. Ich rieche den Strand an ihm, rieche die Mudo. Dieser Geruch würgt mich, schießt mir in den Magen, und mir wird schlecht. Ich will ihn wegschubsen, ihm sagen, dass er mich in Ruhe lassen soll. Stattdessen balle ich nur die Fäuste.
Schließlich dreht er sich um
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