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Das Meer Der Tausend Seelen

Das Meer Der Tausend Seelen

Titel: Das Meer Der Tausend Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carrie Ryan , Catrin Frischer
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fühlen sich scharf an. Ich denke daran, wie oft die Hände meiner Mutter hier gelegen haben, während sie in die Welt hinausgeschaut hat.
    Jetzt wird mir klar, dass ich meine eigene Entscheidung zu treffen habe: Ich kann akzeptieren, was ich sehe. Ich kann den Mechanismus der Lampe heute Nacht und jede Nacht danach in Gang setzen, sicher, innerhalb der Barrieren, die ich um mich herum errichtet habe.
    Oder ich kann alles riskieren: zu Catcher rennen und so viel wie möglich von seinen letzten Augenblicken mitnehmen; mich darauf gefasst machen, eventuell zu versagen und Schmerz zu empfinden.
    Ich schaue in den Regen, der gegen die Fenster des Leuchtfeuerraumes prasselt. Wie anders wäre mein Leben, wenn ich in jener Nacht nicht über die Barriere geklettert wäre. Wenn ich Catcher auf der Mauer hätte zurückhalten können.
    Ich wünschte, ich wäre stärker. Ich wünschte, ich wäre meine Mutter. Aber das bin ich nicht. Ich setze die Lampe in Betrieb, das harsche Licht blendet mich bei jeder Drehung, mein Herz schlägt dumpf dazu.
    Früh am nächsten Morgen ziehen die Milizionäre ab. Der Strand ist makellos, der Sand glatt und sauber. Die Wellen kräuseln sich wie in einer Wasserschüssel, ganz so, als wäre die Welt nicht zwei Tage lang in Aufruhr gewesen.
    Das ist immer das Seltsamste nach einem Sturm: In einem Augenblick ist die Welt dunkel und windgepeitscht, und es werden endlos Mudo an den Strand geworfen, und im nächsten ist es so, als hätte es nie Mudo gegeben, als wäre die Zeit zu den Tagen vor der Rückkehr zurückgedreht worden.
    Ich stelle mich ans Wasser und überlege, ob ich einfach einen Fuß vor den anderen setzen soll, bis die Flut mich verschlingt. In der Brandung kann ich ein Flackern unter der Oberfläche sehen, und ich weiß, die Ruhe ist nur Schein, aus der Tiefe können immer noch Mudo kommen.
    Die enorme Tragweite meiner Entscheidung von letzter Nacht bricht über mich herein, mein Leben allein in vollem Ausmaß. Ich begreife, dass ich nur etwas in diese Einsamkeit mitnehmen will, an dem ich mich festhalten kann, einen letzten Kuss von Catcher. Eine letzte Umarmung von Cira. Etwas, das mich daran erinnert, dass ich geliebt werden könnte, dass ich eine Freundin sein könnte, wenn ich bereit wäre, das Risiko einzugehen.
    Und dann renne ich los. Weg vom Ufer, durch den Zaun und über die Dünen. Ich renne den Pfad durch den Wald entlang, unter den Bäumen ist die Luft schwer und feucht. Als ich die Stadt erreiche, laufe ich zunächst am Rand entlang. Alles verschwimmt vor meinen Augen, dann schlängele ich mich bis dahin durch, wo Cira gefangen gehalten wird.
    Aber ich kämpfe gegen Ströme von Menschen, die aus ihren Häusern kommen und auf die Barriere zu drängen. Es werden immer mehr, der Strom ist zu stark, um ihm etwas entgegenzusetzen, und ich werde mit ihm zum Haupttor getragen.
    Die Milizionäre, von denen einige die ganze Nacht am Strand beim Leuchtturm gearbeitet haben, bauen sich groß und stolz in ihren schwarzen Uniformen vor der Barriere auf. Ihre Mienen sind so gesetzt, so rigide und unbeweglich, während sie hier strammstehen, dass man sich kaum vorstellen kann, wie sie in den letzten Tagen ausgesehen haben: wie durchnässt sie waren, wie lärmend sie sich zotige Witze erzählt und mit ihren Tötungen geprahlt haben. Ich ziehe Strähnen aus meinem Zopf und lasse sie ins Gesicht fallen, weil ich hoffe, auf diese Weise Augenkontakt vermeiden und mich irgendwie von ihnen fernhalten zu können.
    Alle sind da, die ganze Stadt ist zusammengekommen. Als die Glocke dreimal schlägt, verstummt das Murmeln. Das Tor öffnet sich stöhnend, die Menge jubelt. Ich gehe langsam nach vorn, und es ist, als könnte mich niemand sehen. Als wäre ich nichts für sie. Ich höre einen dumpfen Trommelschlag, das Schmettern eines Horns.
    Der vertraute Klang trifft mich tief im Bauch. Der Marsch des Protektorats, die Melodie, die wir als Kinder gelernt und jeden Morgen vor dem Unterricht gesungen haben. Meine Lippen bewegen sich automatisch. Und plötzlich singe ich mit, während die Rekruter in die Stadt einmarschieren.

20
    W ährend alle anderen die Ankunft der Rekruter feiern, schleiche ich mich aus der Menge. Ich will Cira im Keller des Rathauses besuchen, ehe sie mitgenommen wird. Sie sitzt auf einer Bank in der Ecke, die Knie an die Brust gezogen und hat die Wange daraufgelegt. Dünn und erschöpft wirkt sie, und ich merke gleich, dass sie aufgegeben hat. So klein und ängstlich, wie sie

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