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Das Meer Der Tausend Seelen

Das Meer Der Tausend Seelen

Titel: Das Meer Der Tausend Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carrie Ryan , Catrin Frischer
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hätte ich warten und Elias eine Chance geben sollen, mir alles zu erklären.
    »Hör mal …« Ich muss mich räuspern, ehe ich weitersprechen kann. »Wegen der Soulers und dem, was ich letzte Nacht gesagt habe …«
    Bevor ich fortfahren kann, unterbricht er mich mit glänzenden Augen. »Du hattest recht«, erwidert er und hüpft fast vor Aufregung. »Mit dem, was du vom Leuchtturm aus gesehen hast. Das waren die Soulers.«
    »Oh«, kann ich nur sagen. Er wartet auf meinen Begeisterungsausbruch, doch den bringe ich nicht zustande. Er kneift die Augen zusammen und kommt näher.
    Nur ein paar Regentropfen können sich noch zwischen uns drängen. »Das Protektorat schätzt Loyalität«, sagt er in etwas schärferem Ton. Er kommt mir zu nahe, aus Gewohnheit wandert meine Hand zur Hüfte, ich nehme Verteidigungshaltung ein.
    Er sieht meine Finger auf dem Messergriff ruhen. Ich weiß, dass er es wiedererkennt: das Souler-Messer. Er legt den Kopf schräg. »Ehrlich gesagt, der Vorsitzende hat immer an deiner Mutter gezweifelt, weil sie nicht von hier ist und zudem behauptet, aus dem Wald zu kommen.«
    Seine Hand schließt sich über meiner, über dem Messer, und ich versuche, mich ihm zu entwinden, aber er packt fester zu. Ob die anderen Milizionäre uns wohl beobachten, ob sie überhaupt eine Ahnung von dem haben, was Daniel hier sagt? Was würde wohl passieren, wenn ich sie riefe, wenn ich um Hilfe rufen würde? Ich kann mich nicht darauf verlassen, dass sie mich nicht einfach ignorieren und Daniels Willkür überlassen würden.
    »Der Vorsitzende – und ich – wir haben keinen Grund, an deiner Loyalität zu zweifeln, nicht wahr?«
    Ich starre seine zusammengekniffenen Augen an. Als Kind habe ich ihn nicht besonders gut gekannt. Er ist älter als ich und war mit Jungen befreundet, die sich alle in den letzten Jahren den Rekrutern angeschlossen haben. Ob es Daniel wütend und bitter gegen das Protektorat gemacht hat, weil er wegen seines Beines zurückbleiben musste? Das habe ich mich immer gefragt. Ich weiß auch nicht, ob er seine Warnung aus uneingeschränkter Loyalität dem Vorsitzenden gegenüber ausspricht, oder weil ihm an mir liegt.
    Könnte ich ihm die Wahrheit sagen? Ich möchte so gern jemandem vertrauen können, der mir sagt, dass alles wieder gut wird. Vielleicht begegne ich Daniel mit zu viel Argwohn. Aber seine Finger quetschen mein Handgelenk, und nichts in seiner Miene lässt Rückschlüsse auf seine Gefühle zu.
    In diesem Moment ist der Ruf des obersten Milizionärs zu hören, Wesson, der auf einer Rampe mit Ausblick über die Barriere steht.
    Die Miliz versammelt sich am Tor, das sich knirschend öffnet. Daniel stellt sich vor mich und schirmt mich vor der Welt dahinter ab.
    »Was ist los?«, frage ich, aber mir gilt seine Aufmerksamkeit nicht mehr.
    »Tritt zurück, für alle Fälle«, sagt er, legt eine Hand auf meinen Bauch und schiebt mich weiter nach hinten.
    Mehr Miliz hastet nun herum, und ich spüre ihre Aufregung – sie vibriert in der Luft. Die Männer umklammern ihre Waffen und stellen sich auf die Zehenspitzen.
    Der Spalt im Tor wird so groß, dass ich über Daniels Schulter hinweg die alte Straße hinunterschauen kann. Ich erkenne sie sofort wieder: die Soulers. Sie werden von einer Gruppe von Milizionären aus Vista angeführt, deren schwarze Hemden vom Regen durchweicht sind, die Klingen ihrer Sicheln und Äxte glänzen feucht.
    Die Soulers gehen langsam, zielgerichtet. Jeder von ihnen trägt ein weißes Gewand. Die Säume ihrer Hosen und Hemden sind von rotem Schlamm verkrustet, und die meisten von ihnen sind so dünn, dass sie mit ihren hageren Wangen und eingesunkenen Augen fast verhungert aussehen. Sogar im trüben Licht ist leicht zu erkennen, wie erschöpft sie sind, wie morsch ihre Körper wirken.
    Sie sehen überhaupt nicht so aus wie letzte Nacht, wo sie bedrohlich waren in den dunklen Schatten des Mondes. Jetzt wirken sie harmlos und schwach, wenn man von den Mudo absieht, die sie an strammen Leinen hinter sich herzerren.
    Ich schlucke gegen die Spannung an, die in meinen Armen kribbelt, während ich den Blick über die Gesichter der Soulers schweifen lasse und mich frage, ob Elias wohl unter ihnen ist. Ich komme mir dumm vor. Ich weiß, ich sollte mir wünschen, dass er gefangen wurde, ich sollte mir wünschen, dass er dafür bezahlen muss, zu einer Sekte zu gehören, die das tut, was ich letzte Nacht gesehen habe. Aber ich kann nicht vergessen, wie sanft er mit mir

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