Das Meer Der Tausend Seelen
verabschieden können.
Alles ist falsch. Alles hat sich verändert. Ich habe gelogen, gegen Regeln verstoßen und jemanden getötet. Ich habe mein Versprechen gebrochen und versagt. Ich weiß nicht mehr, wer ich bin.
Und dann bricht das Schluchzen aus mir heraus, schmerzhaft drückt es mich zu Boden. Ich habe nicht mehr die Kraft zu kämpfen.
Arme schlingen sich um mich, ich erschrecke, mache mir aber nicht die Mühe aufzubegehren. Ich bin bereit, alles aufzugeben, alles mit mir geschehen zu lassen. Doch an der Art, wie er mich an sich zieht, wie er mich hält, als könnte er das Zerbrochene in mir wieder ganz machen, merke ich, dass es Elias ist. Ich erkenne ihn an seinem Geruch und seiner Kraft – und an der Art, wie er seine Wange an mein Haar legt.
Ich weiß nicht, wie er mich gefunden hat, woher er weiß, dass ich hier bin – und es ist mir egal. Ich will ihn hassen. Ich sollte ihn für das hassen, was er ist und was er Catcher angetan hat. Aber nur für einen Moment erlaube ich mir, mich von seinem Trost durchdringen zu lassen, denn ich brauche seine Stärke. Einen gemeinsamen Herzschlag lang gebe ich mich dem Gefühl hin, ihn an mir zu spüren. Und dann hole ich tief Luft, schlage um mich und stoße ihn weg.
»Du Ungeheuer!« Ich klinge wie ein wildes Tier, meine Stimme ist ein tränenschweres Knurren. Ich setze all meine Gefühle in Wut um, als wäre er der Grund für meinen Schmerz. Jemand anders als ich soll die Schuld haben.
Schweigend starrt er mich an, und ich stürze mich auf ihn. »Du grässliches Ungeheuer!« Ich hämmere ihm auf die Brust. »Ich hasse dich, ich hasse dich, ich hasse dich!« Es ist so gut zu schreien und das Gefühl zu haben, man könnte die Welt in Stücke reißen.
Er schubst mich weg. Da sieht er das Blut an meinen Armen, auf meiner Brust und reißt keuchend die Augen auf. Er wirft mich auf den nackten Beton.
»Wo bist du verletzt«, verlangt er zu wissen. Er zieht an meinem Hemd, seine Finger untersuchen die Haut an meinem Bauch und an den Seiten. Ich wehre mich, aber er setzt sich auf mich und hält mich am Boden fest.
In mir kocht die Wut über. Ich schreie. Er packt mein Gesicht, hält meinen Kopf fest. Seine Finger bohren sich in meine Wangen, er zwingt mich, den Blick auf ihn zu richten. »Gabry, wo bist du verletzt?« Voller Erstaunen spüre ich, wie er zittert, und mir wird klar, dass er Angst hat, dass er vor Angst keucht. Alle Kampfeslust verlässt mich.
»Ich bin nicht verletzt«, flüstere ich. Aber ich will ihm erzählen, dass mir alles wehtut, dass der Schmerz so tief ist, dass ich nicht weiß, wie ich ihn überwinden soll.
Noch immer sitzt er rittlings auf mir, doch nun hockt er sich auf die Fersen und schaut auf mich herunter. Ich nutze sein Zögern aus, nehme all meine Kraft zusammen, bäume die Hüften auf und werfe ihn ab. Dann wälze ich mich auf die Seite und schnappe mir das Messer, stürze mich auf ihn und halte ihm die Klinge an die Kehle.
»Du bist widerlich.« Es fällt mir schwer, die Worte zu finden, die ich sagen will. »Was hast du mit Catcher gemacht?« Ich schüttele ihn, und seine Augen treten ein Stück hervor, als die Klinge seine Wange ritzt. »Was hast du gemacht?«, schreie ich ihm ins Gesicht.
Unser Atmen ist wie ein Gewittersturm, mein Herz grollt wie Donner.
»Nichts«, sagt eine Stimme hinter mir.
Alles kommt zum Stillstand. Mein Hals schnürt sich zusammen. Ich will mich nicht umdrehen. Das hier soll nicht nur ein Trick sein oder ein Scherz. Ich will keine Bestätigung dafür, dass die Hoffnung, die mich durchzuckt, nur eine Lüge ist.
Ich schaue auf Elias hinab. Er lächelt schwach, ein schmerzliches Lächeln.
Ich schlucke und drehe mich langsam um. Catcher steht da, im Schatten des Bogens zögert er noch, bevor er auf mich zu rennt. Unsere Körper stoßen zusammen, er packt mich, ich packe ihn. Ich begreife gar nicht, was vor sich geht – wie es sein kann, dass er noch lebt –, und im Augenblick ist mir das auch egal. Er ist jetzt hier, in meinen Armen, und nur das ist wichtig.
Seine Haut ist nahezu unerträglich heiß, aber er fühlt sich kräftig an, und ich spüre seinen Herzschlag. Er hat nichts mehr von dem schwachen, sterbenden Menschen, den ich vor ein paar Tagen verlassen habe.
Ich schiebe ihn von mir und schaue zwischen ihm und Elias hin und her, der noch immer auf dem Bauch am Boden liegt. Es ist schwer, die richtigen Worte zu finden. »Was geht hier vor?«, frage ich. »Ich verstehe das nicht. Du solltest
Weitere Kostenlose Bücher