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Das Meer der Zeit: Roman (German Edition)

Das Meer der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Das Meer der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatriz Williams
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schaumgefüllten Lungen. Allerdings hast du dein Gedicht am Anfang des Kriegs, vor der Schlacht an der Somme, geschrieben und er seines danach. Darauf kam es bei dem Aufsatz an, weißt du …« Meine Stimme erstarb. »Aber mir hat deins trotzdem besser gefallen, weil es mehr Hoffnung und Zuversicht verbreitete. Der arme Owen war einfach nur unglücklich und ging keine Kompromisse ein, um den Schlag ein wenig abzumildern. Absolute Hoffnungslosigkeit.«
    »Nun«, entgegnete Julian nachdenklich, »der Krieg war ja auch das Grauen. Entweder sah man ein höheres Ziel darin oder eben nicht.«
    »Und hast du eines gesehen?«
    Er überlegte. »Wahrscheinlich schon. Zum Teil deshalb, weil ich meine Pflicht tat, nicht nur für mein Land, sondern auch für die Männer, die mir unterstellt waren. Außerdem war ich ein törichter junger Esel, frisch von der Universität, und kam mir in meiner Uniform ziemlich schneidig vor. Und ich empfand den Wehrdienst als Befreiungsschlag. Nach einem ziemlich streng geregelten, von kleinlichen Vorschriften und Heuchelei geprägten Leben brauchte ich mich plötzlich eine Woche lang nicht zu waschen und konnte mir die Nächte um die Ohren schlagen.«
    »Hattest du denn keine Angst?«
    »Doch, natürlich. Granatenbeschuss zerrt besonders an den Nerven. Dann der ständige Lärm und die Scharfschützen, die rund um die Uhr aus dem Hinterhalt auf einen feuern. Ich gehörte eben zu den Glücklichen, die das ziemlich gut wegstecken konnten.«
    »Ich bin nicht sicher, ob ich dir das glaube. Wie kann dich das unberührt gelassen haben?«
    »Das will ich auch gar nicht behaupten. Aber ich habe nie darüber nachgegrübelt. Vielleicht ist der Grund ja, dass ich nie an einem großen Feldzug beteiligt war, nur an kleinen Ausfällen und Patrouillen. Es könnte auch daran gelegen haben, dass ich mein Leben lang Hirsche gejagt und Enten geschossen habe. Darüber, was passiert, wenn man abdrückt und etwas trifft, habe ich mir keine Illusionen gemacht. Möglicherweise war ja auch das, was danach passiert ist, einfach nur stärker. Kate, was soll ich jetzt sagen? Dass ich Narben auf der Seele habe und dich brauche, um sie zu heilen?« Die letzten Worte waren zwar scherzhaft dahingesagt, doch es schwang ein leicht warnender Unterton mit.
    Unbeeindruckt beugte ich mich vor. »Warum hast du dann Gedichte geschrieben, wenn nicht, um es zu verarbeiten?«
    »Kate, alle haben Gedichte geschrieben. Meine Schulbildung bestand hauptsächlich daraus, endlose Gedichte und Prosatexte auswendig zu lernen. Ich kann dir jedes gottverdammte Wort aus Miltons Feder zitieren. Vergil auf Latein. Den gesamten Heinrich V. Also war es mehr oder weniger unvermeidlich, dass meine Offizierskameraden und ich unsere Notizbücher mit allem möglichen abgekupferten Unsinn vollgekritzelt haben. Immerhin saßen wir mitten in einem europäischen Krieg fest und mussten lange Phasen unerträglicher Langeweile über uns ergehen lassen.« Er hielt inne und leerte sein Champagnerglas. »Wahrscheinlich habe ich geschrieben, damit mein Verstand nicht völlig im Dreck versank.«
    »An die ferne Geliebte.«
    »Ja«, erwiderte er, »stimmt. Allerdings passen die Worte viel besser zu dir. Ich denke an dich, wenn ich mich daran erinnere.«
    »Jetzt vielleicht, aber nicht 1916.« Ich hatte die Suppe aufgegessen und legte den Löffel auf die Untertasse. »Wenn Florence es nicht war, wer dann?«
    »Was meinst du?«
    »Die Frau, mit der du während des Kriegs geschlafen hast?«
    »Hör zu«, entgegnete er ein wenig barsch, »haben wir uns nicht darauf geeinigt, ein neues Kapitel aufzuschlagen? Das heißt, ich frage dich nicht nach deinen Liebhabern aus und umgekehrt.«
    »Entschuldige«, erwiderte ich gekränkt.
    Entsetzen zeigte sich auf seinem Gesicht. »Ach, verdammt, Liebling, so habe ich es nicht gemeint. Und das ausgerechnet heute Abend. Komm her. Sei nicht schüchtern, wir sind allein.« Er streckte die langen Arme aus und hob mich kühn auf seinen Schoß. »Man sollte mich erschießen, Liebling«, flüsterte er mir verzweifelt ins Ohr. »Das war vulgär von mir, vulgär, gefühllos und ungezogen. Verzeih mir. O Liebling, sei nicht traurig. Wenn du wüsstest, wie sehr ich dich verehre …«
    »Genau das habe ich vorhin gemeint«, gab ich ärgerlich zurück. »Tief in deinem Innersten wünschst du dir ein Mädchen wie die, die du früher kanntest. Aristokratinnen mit ausgezeichneten Manieren und natürlich tugendhaft …«
    »Ruhelose und

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